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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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tatsächlich überrumpelnd, gut! Verdattert reckte sich ihr Arm dem Gitter entgegen – und ehe die Hand der Örtlerin ihn erwischen konnte, hatte Arno den Brief des Anstoßes an sich gerissen. Ehrlich dankbar für das Klausurgitter zog er sich in unerreichbaren Abstand davon zurück.
    „Ihr habt kein Recht, diesen Brief zu lesen“, erreichte ihn die Örtlerin – fast hätte er sie ausgelacht.
    Er warf nur einen zerstreuten Blick auf den Umschlag. Ein stilisierter Vogel neben einer menschlichen Faust. Wie passend.
    „Das ist Unrecht“, fuchtelte die Örtlerin wild durch das Gitter. „Ich bin nicht länger bereit, Eure ständigen Einmischungen zu dulden! Und Ihr habt auch gar keine Handhabe mehr. Denn nun gehört sie endgültig uns.“ Die Äbtissinnenstimme überschlug sich, schrill und krampfhaft triumphierend. „Wir haben es schriftlich: Ihr Vater ist tot. Gleich morgen werde ich die dritte Befragung ansetzen, und am folgenden Sonntag werden wir es tun und dem ganzen Theater mit ihr ein für allemal ein Ende bereiten. Der Bischof ist schon informiert.“
    Ihre Stimme schraubte sich in immer verzerrtere Höhen, doch Arnos Ohren fühlten sich an wie hinter einer dicken Mauer, an der jeder Schall von außen abprallte. Während es in seinem Kopf schrie: Sie gehört uns, wir können sie weihen, ein Ende bereiten, ein für allemal ein Ende ...  
    „Und jetzt werdet Ihr mir endlich diesen Brief zurückgeben, es ist eine offizielle Nachricht, die hier im Redhaus überbracht werden muss. Ich werde nach Pater Palgmacher schicken, der wird Euch zur Vernunft bringen! Elisabeth, lauft rasch, klingelt nach ihm, schnell!“
    Inmitten dieses Geschreis, dieses Gezerres und Getrappels, inmitten der Welt, die plötzlich von Grund auf verändert schien, stand Arno und las diesen Brief.
     
    'Ehrwürdige Äbtissin', lautete es da. 'Meine illegitime Halbschwester Mathilda hat unrechtmäßigerweise Kontakt zu mir aufgenommen, indem sie mir einen Brief gesandt hat. Da ich nicht wünsche, in Zukunft weiter von ihr belästigt zu werden, wende ich mich direkt an Euch, Mutter Örtlerin. Denn anscheinend hat M. einen Mann namens Oekolampadius als Übermittler ihrer Post eingespannt, der mir als ein äußerst zweifelhafter Charakter vom Hörensagen bekannt ist.
    Ich hege die Hoffnung, dass Ihr diese Übergriffe von nun an zu unterbinden wisst.
    Da mein Vater bereits Ende Oktober verstorben ist, gibt es für M. ohnehin keinen Grund mehr, sich mit mir und meiner Familie in Verbindung zu setzen.   
    Hochachtungsvoll,
    Friedeman von Finkenschlag.'
     
    Verdammt, dieser Schuft von herzlosem Bruder! Kündigte seiner eigenen Schwester die Zugehörigkeit zur Familie! Und lieferte ganz nebenbei der Äbtissin endlich den Anlass, Heussgen ...
    „Habt Ihr Heussgen angezeigt?“ Nun war Arnos Stimme schrill.
    „Das ist meine Pflicht, die ich erfüllen werde – und wenn Ihr Euch auf den Kopf stellt!“ Die Örtlerin stemmte in ihrer Empörung die Arme in die Seiten. „Er hat sich strafbar gemacht, indem er eine Nonne zur Umgehung der Klosterzensur angestiftet hat. Und auch Ihr macht Euch verdächtig, wenn Ihr so offensichtlich Euere persönlichen Sympathien über Gottes Gesetze stellt.“
    Achtlos ließ Arno das Papier in seiner Hand zu Boden fallen. Die Geierinnen waren noch nicht dazu gekommen, Heussgen dem Herzog ans Messer zu liefern. Arno musste ihn warnen, vor dem weltlichen Kerker bewahren, ehe es zu spät war.
    Und Mathilda ... würde er nach Sexta abfangen, um ihr in ihrem Schock über den Tod ihres Vaters beizustehen und ihr zu helfen. Mit allem.

Sühnensinn
     
     
    Ohne sich um irgendetwas oder irgendwen auf seinem Weg zu kümmern, rannte Arno, so schnell ihn seine Beine trugen, durch den Konvent, dem Gästetrakt entgegen.
    „Johannes, bist du da?“ Er hämmerte gegen die Tür. „Mach auf, schnell!“
    Heussgen öffnete, Gott sei Dank! Sein Gesicht ahnungslos strahlend. „Arno, du bist zurück! Wohlbehalten, wie schön! Wie geht es dir? Komm herein, es ist noch Essen übrig, wenn du ...“
    „Pack deine Sachen zusammen, du bist in Gefahr! Die Örtlerin lässt in diesen Minuten einen Boten holen, der dich in München anzeigt.“
    Während Arno erregt berichtete, blieb Heussgen beängstigend ruhig. „Komm erst einmal herein und setz dich, mein Freund.“
    „Hast du nicht gehört? Sie kommen, dich zu holen!“
    „Immer langsam, mein Freund“, wehrte Heussgen ab. „Bis dahin vergehen noch mindestens drei Tage.“
    „Wie

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