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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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stand er, verdeckt vom Altar, lauschte ihr mit schmerzhaft verzogenem Gesicht, riesige Gewichte auf seiner Brust. Wo war sie, diese starke, tapfere, unbeugsame junge Frau, die er so liebte? Der er früher dieses unvergleichliche, glückliche Lächeln hatte entlocken können, welches Georg nie zuwege gebracht hatte. Nun hatte er, Arno, sie gebrochen.
    Erneut stockte sein Atem. Auf einmal sang sie etwas anderes, keinen Psalmengesang mehr, sie sang ein Lied, ein ...
    „All' mein' Gedanken, die ich hab
    Die sind bei dir.“
    Ein Liebeslied. Ihre Liebe. Für ihn.
    „Du auserwählter einz'ger Trost.“
    Er!
    „Bleib stets bei mir!“
    Und er, Arno, musste sie verlassen.
    „Du, du, du sollst an mich gedenken!
    Hätt' ich aller Wünsch Gewalt,
    Von dir wollt' ich nicht wenken.“
    Und dann war sie wieder in den Psalm gesprungen.
    „Warum hast du mein vergessen?
    Warum muss ich so traurig gehen ...“
    Warum muss ich gehen, warum muss ich so traurig gehen?
    „Was betrübst du dich, meine Seele?“
    Etwas stimmte nicht. Ihre Stimme hatte sich verändert, war lauter, doch zugleich brüchig geworden. Und sie schwankte. Nicht nur die Stimme, Mathilda selbst. Arno war vorne am Balkon, ehe er einen bewussten Entschluss gefasst hatte.
    „Und bist so unruhig in mir?“
    Auch sie stand ganz vorn und starrte ins Leere. Beide Hände am Geländer. Plötzlich verstummt. Was ... was tat sie da? Sie lehnte sich vor, weiter, sie wollte doch nicht ...? Ihr Bein schob sich über die Brüstung. Mathilda nein !  
     
     
    Er war so schön. Und nah, ganz nah. Hatte die Arme bereits für sie ausgebreitet. Nur noch ein kleines Stück weiter, nach vorn, den letzten Schritt endlich tun, sich fallen lassen und hineinsinken.
    „MATHILDA!“
    Die Stimme! Woher? Während ihr Körper zurückzuckte, ihre Knie von der Brüstung rutschten, auf der sie sich sonderbarerweise befand, flog ihr Kopf herum. Der Ruf war nicht von dort gekommen, wo sie Arno gerade eben noch gesehen hatte. Und dennoch war es eindeutig seine Stimme gewesen. Sie stellte sich auf ihre Füße. Weil die wankten, klammerte sie sich an die Brüstung.
    War er ...? Ihre Augen suchten im Kirchenschiff herum. Wo war er? Oder war sie einer Täuschung erlegen?
    „Mathilda?“
    Die Panik in seinem Schrei war einer Frage gewichen. Und da hatten ihre Augen ihn auch schon gefunden. Im Männerchor, neben dem Altar stand er, mit groß aufgerissenen Augen voller Angst.
    „Arno?“
    Ihre verkrampften Arme verloren an Spannung, sie atmete tief aus. Er war zurück. Zurückgekehrt zu ihr.
    „Nicht!“
    Nur dieses eine Wort, das jedoch wie ein Befehl klang. Dazu die drängend erhobene Hand. Ja, ja, ja, natürlich würde sie nicht – einen Moment lang verwundert, konzentrierte sie sich darauf, was soeben beinahe geschehen wäre – springen ... Nein, natürlich nicht! Am liebsten hätte sie das laut gerufen. Warum sollte sie das auch, wenn er doch zurück war? Sie hatte doch nur zu ihm gewollt. Schließlich gab es auf der Welt keinen Platz, an den sie sonst gehören konnte. Sie sah ihn an, lächelte, glücklich. Er war zurückgekommen. Ein gutes Zeichen. Jetzt würde alles gut werden.
    Er lächelte nicht wider. Sah sie nur ernst und stumm an. Nickte dann, fast feierlich, wandte sich ab – und verschwand.
    Was jetzt? Würde er in die Kirche kommen, zu ihr? Sollte sie hinunterrennen, ihm entgegen?
    Mit angehaltenem Atem beobachtete sie die von ihrem Standpunkt aus gerade noch zu erkennende Türe vom Altarraum in die Sakristei und den Männerkonvent. Die würde sich jetzt wohl gleich öffnen, Arno auftauchen. Dann würde sie über den Prozessionsgang losrennen zur Treppe hinab, während er durch die Kirche auf sie zukäme.
    Wenn er käme. Wenn.
    Sie starrte weiter auf die Türe, die sich hartnäckig nicht rührte. Gab es vom Männerkonvent aus noch einen weiteren Zugang zur Kirche? Ihres Wissens nicht. Dennoch suchte sie mit den Augen. Bewegte sich dort unten im Halbdunkeln jemand?
    Sie lauschte: Waren da Schritte?
    Nein, nichts, niemand. Arno war gegangen.
    Er musste einen Grund dafür haben und mit Sicherheit war der sehr nachvollziehbar. Mathilda rief sich die wenigen Momente, in denen sie Arno betrachtet hatte, noch einmal vor Augen. Erschöpft und verschmutzt hatte er ausgesehen, als sei er gerade eben von seiner Reise zurückgekehrt. Sie nickte. Das musste es sein. Er musste sich ausruhen und umziehen, waschen.
    Zwar seufzte sie, es wäre ja auch zu schön gewesen, ihm jetzt gleich

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