Und fuehre uns in die Versuchung
an – und sie selbst verbrachte die Rekreation ja mit Regelmäßigkeit alleine singend. Wo sie gegen den faszinierenden Sog ankämpfte, sich endlich von der Brüstung direkt in Arnos Arme zu stürzen. Denn er war da irgendwo dort – jenseits! Strahlend schön und lächelnd wartete er dort drüben mit ausgebreiteten Armen auf sie.
Von Tag zu Tag wurde Mathilda unsicherer, ob sie es nicht doch tun würde. Die Aussicht, endlich bei ihm anzukommen, erschien ihr einfach zu verlockend.
Was hielt sie eigentlich noch zurück? Sie konnte es nicht benennen, stand nur immer an die Wand gepresst, starrte die verlockende Brüstung an und sang, wenn der Sog zu stark wurde. Aber irgendwann würde sie aufhören zu singen. Morgen vielleicht. Und dann ...
Samstag, 21. Januar 1522
Alles hat ein Ende
Wenn du stark bist, dann beginne, wo du stark bist. Wenn nicht, beginne dort, wo du eine Niederlage am leichtesten verschmerzen kannst.
Niccolo Machiavelli
Es war Edeltraud, die den letzten Ausschlag gab. Mit einem einfach dahingesagten Satz: „Ich soll dir von Mutter Örtlerin ausrichten, dass du nach Sexta zu ihr ins Redhaus kommen sollst.“
Mathilda dankte ihr, packte ihren Holzkorb und machte sich wieder an die Arbeit. Damit war alles klar – und alles aus. Nur zu deutlich konnte sie sich vorstellen, was die Äbtissin sagen würde:
„Da Pater Arno das Kloster verlassen hat, wird es keinen Unterricht für dich mehr geben. Ab sofort wirst du also am Nachmittag folgender Arbeit zugeteilt ...“
Was konnte sie denn schon? Weder sticken noch malen, nicht einmal kochen. Also blieb nur irgendeine Hilfsarbeit übrig.
Kein Unterricht mehr. Nie mehr in die Bibliothek oder ins Skriptorium, nie mehr in den Unterrichtsraum gehen, nie mehr in wunderbaren Büchern blättern – und vor allem, nie mehr Arno sehen, hören, fühlen.
Nicht einmal Katharina würde ihr bleiben, wenn diese, zusammen mit Elisabeth, das Kloster verlassen haben würde. Sicher, Katharina würde sie bestürmen: „Komm mit. Du wirst ebenfalls auf diesen lutherischen Heiratsmarkt kommen und einen Mann finden.“
Die Trostlosigkeit, die zuzulassen sie sich bisher geweigert hatte, schlug über ihr zusammen. Vielleicht war das ein Weg für Katharina, um mit Elisabeth zusammenbleiben zu können. Für sie selbst stellte es keine Option dar. Sie hatte schon nach Sebastian nicht irgendeinen Mann heiraten wollen. Und jetzt, nach Arno schon gleich zweimal nicht. Es blieb also nur der eine Weg.
Mathilda stellte den Holzkorb sorgfältig in die Nische unter dem Fenster. Hier würde er nicht so schnell auffallen. Hoffte sie zumindest. Dann machte sie kehrt und ging in Richtung Frauenchor davon. Und während ihre Füße von alleine liefen, beschwor sie mit aller Kraft das Bild vor sich. „Arno, ich komme, bin gleich bei dir.“
Trostreich stieg er vor ihr auf, reckten sich ihr seine Arme entgegen. Sie lächelte. Alles war genau so richtig.
Es war eher der Geruch nach Staub, Kerzen, Holz und Kirche, der ihr sagte, dass sie bereits angekommen war. Sie stellte sich an die Wand. Hier, wo alles angefangen hatte, würde es auch enden.
Alles war gut. Mathilda war zufrieden, als sie den Mund öffnete. Und den ersten Schritt tat. Auf ihn zu.
Arno hätte nicht mit Gewissheit sagen können, wie viele Tage er unterwegs gewesen war. Zum Glück war es viel wärmer geworden, sodass er eher mit Matsch und Schnee zu kämpfen gehabt hatte als mit der Kälte. Indersdorf hatte bereits hinter ihm gelegen, als er das Gefühl gehabt hatte zu fiebern. Hatte eine Scheune gefunden und war dort geblieben, um sich auszuruhen. Länger als einen Tag und eine Nacht, eine Ewigkeit, glaubte er zumindest. Ganz sicher war er, wie gesagt, nicht. Während der Wallach sich vom Heu und vom Wasser einer Regentonne ernährt hatte, hatte er gelegen und geträumt und geschlafen, bis er irgendwann entschieden hatte, sich aufraffen zu müssen. Hatte es unter Aufwendung sämtlicher Energie geschafft, sich aufs Pferd gequält und zuerst wie ein Sack im Sattel gehangen, anfangs noch viele Pausen gemacht – doch mittlerweile ging es ihm erstaunlicherweise besser. Jedenfalls war er jetzt, an einem klaren und kalten Vormittag, tatsächlich angekommen. Trat aus dem Wald und erblickte den Kirchturm über den Dächern von Altomünster. Auch der Wallach schien seine Heimat erkannt zu haben und begann zu traben. So hatten sie unmittelbar darauf den Berg erklommen und erreichten das nordöstliche Ende
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