Und führe uns nicht in Versuchung: Kriminalroman (German Edition)
selbst. Mehr so bunte Lichtpunkte, die kometenartig durch mein Gesichtsfeld schwirrten.
Dann klingelte erneut das Handy.
Was darauf folgte, war der endgültige Beweis, dass meine Großmutter über bedeutend mehr Lebenserfahrung verfügte als ich und ich mir angewöhnen sollte, mich an ihre Ratschläge zu halten. Und dass Handys tatsächlich ein Werkzeug der CIA sind, um die psychische Gesundheit der deutschen Bürger so weit zu untergraben, dass diese, verwirrt von dem ganzen elektrischen Zeugs, nur noch ferngesteuert durchs Leben torkeln. Und Unsinn machen.
Denn wieso sollte sich eine sonst ganz normale Lisa Wild von einer blechernen Melodie zwingen lassen, auf einen grünen Knopf zu drücken und Ja zu sagen?
Am anderen Ende war einen Moment Schweigen. In meinen Ohren surrte plötzlich das, was der Beginn einer gewaltigen Gotteseingebung hätte sein können. Das passiert mir häufiger. Dass es plötzlich in meinem Ohr surrt, rauscht und klingelt. Wenn es bei Großmutter im Ohr surrte, dann bekam sie eine Gotteseingebung, ich war dazu noch nicht versiert genug.
»Das ist nicht mein Handy«, dachte ich sehr weise, hatte es aber noch immer am Ohr, was eine unglaublich gruselige Lebenserfahrung war. Das Handy eines Toten am Ohr, das war der beste Einstieg für einen Horrorschocker. Und wer hatte es in der Hand? Ich, Lisa Wild, die weder Leichen finden noch Besitztümer von Leichen in der Hand halten wollte. Meine Ohrgeräusche steigerten sich zu einem gewaltigen Hörerlebnis.
Ich quietschte so erschrocken auf, als hätte ich noch eine Leiche gefunden.
Nach einer Schrecksekunde sagte am anderen Ende der Leitung schließlich eine bekannte Stimme: »Lisa? Bist du das?«
Ich ließ das Handy einfach fallen. Irgendwie schaffte ich es wieder nicht, meinen Brechreiz zu unterdrücken.
Das Telefon redete unter dem Busch hektisch und unverständlich weiter, während ich mich erleichterte und beschloss, es einfach liegen zu lassen. Ich starrte vornübergebeugt auf den unansehnlichen Mageninhalt und versuchte, an eine Ausrede zu denken. Natürlich hatte ich niemals ein Leichenhandy in der Hand gehabt. Wer machte denn so etwas. Ich würde natürlich niemals an ein fremdes Handy gehen. Und zudem nicht quietschen.
Im nächsten Moment surrte mein eigenes Telefon in der Tasche. Ich beschloss, es zu ignorieren, denn ich wusste genau, wer dran war. Wenn nämlich etwas Größeres im Ort passierte, wenn zum Beispiel tote Mesner oder Organisten gefunden wurden oder Knochen in Kistln, dann holte man den Kriminalhauptkommissar Max Sander. Gegen den hatte ich eigentlich gar nichts, im Gegenteil. Max Sander ist nämlich der Mann, der mir anhängt, um es mit biblischen Worten auszudrücken. Und normalerweise sind wir wirklich ein Herz und eine Seele, ausgenommen in den Phasen in unserem Leben, in denen ich eine Leiche gefunden habe. Und diese Phasen kamen leider überproportional häufig in unserer Beziehung vor.
Schon nach dem ersten Leichenfund hatte ich mir eine Überlebensstrategie ausgedacht, die ich für unschlagbar hielt: einfach weitergehen. So tun, als hätte ich nichts gesehen. Diese Idee war mir immer sehr klar und schlüssig vorgekommen. Aber das zweite Mal hatte dummerweise Großmutter die Leiche gefunden, die von meiner Strategie keine Ahnung hatte. Beim dritten Mal war uns die Rosl in die Quere gekommen. Und jetzt Max. Der Depp, der.
»Ja«, sagte ich schließlich ins Telefon.
»Stehst du neben einer Leiche?«, sagte Max mehr als Feststellung denn als Frage und ohne mich vorher zu begrüßen. Dass mich mein Freund am Quietschen erkannte, war eine reife Leistung. Aber ich wollte es ihm nicht zu leicht machen.
»Nein«, antwortete ich, denn immerhin stand ich auch nicht direkt daneben. Ich hatte einen Schweißausbruch und spürte ganz deutlich, dass ich drauf und dran war, entweder Brechdurchfall zu bekommen oder eine ganz schlimme Nebenhöhlenvereiterung. Wenn man gerne und häufig Leichen findet, sollte man wenigstens keinen Kriminaler als Freund haben.
»Hast du heute schon einmal neben einer Leiche gestanden?«, fragte Max, und auch das klang nicht nach einer Frage.
Das war ganz schlecht gelaufen, und natürlich war es meine Schuld. Allein, dass ich das Leichenhandy in die Hand genommen hatte, so im Schock, war unglaublich. Dass ich das Gespräch auch noch angenommen hatte, war bereits unverzeihlich. Und dass ich schließlich mein eigenes Handy nicht ausgeschaltet hatte, war dermaßen der Gipfel der Blödheit, dass
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