Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Freddy und Valentina? Nein.»
Freddy stellt mir den Grappa vor die Nase. Ich nehme einen winzigen Schluck. «Würden Sie mir dann verraten, was Sie hier machen?»
«Da! Jetzt!», sagt Baumann und deutet mit einer Kopfbewegung zum Brautpaar. Ich sehe, wie der Bräutigam mit seinem übervollen Teller an der Festtafel Platz nimmt, während die Braut ihren Blick über die Menge schweifen lässt. Sie scheint sich davon überzeugen zu wollen, dass alle Gäste gut versorgt sind. Erst bei genauem Hinsehen erkennt man, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders ist. Ihr träumerisches Lächeln verrät es. Sie sonnt sich im Hochgefühl dieses Augenblicks. Mit jeder Pore ihres Körpers genießt sie diesen Moment voller Glanz und Liebe, diese Sekunden im Bannstrahl des vollkommenen irdischen Glücks.
«Das war er», sagt Baumann und dreht nun doch den Kopf zu mir. «Das war der Höhepunkt ihres Lebens.»
Ich nicke. «Zumindest der vorläufige Höhepunkt.»
Abel schüttelt energisch den Kopf. «Nein. Der absolute. Das gerade war der absolute Höhepunkt ihres Lebens.»
«Aber es weiß doch niemand, was noch kommt», gebe ich irritiert zu bedenken.
«Doch. Ich schon. Ich weiß es», entgegnet Baumann. «Sie wünscht sich Kinder, kann aber keine bekommen. In ein paar Jahren wird sie das frustriert einsehen. Ihre Ehe existiert zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Dieser Kerl mit dem Berg Tiramisu vor der Nase, den sie heute geheiratet hat, wird eine Geliebte haben und sich scheiden lassen, um mit der anderen Frau ein neues Leben zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt wird die andere Frau von ihm schwanger sein. Bei dieser anderen Frau handelt es sich um die Schwester unserer schönen Braut. Und das wird ihr für alle Zeiten das Herz brechen.»
Offenbar hat mein Patient einen psychotischen Schub. «Sind Sie deshalb hier?», frage ich. «Ist das so eine Art göttliche Mission? Wollen Sie die Braut vielleicht vor einer unglücklichen Zukunft bewahren?»
«Soll ich?», fragt Baumann launig und kippt seinen Grappa in einem Zug herunter.
«Nur zu!», sage ich und mache eine einladende Handbewegung.
Er mustert mich. «Sie wollen von mir tatsächlich einen … Gottesbeweis?»
Ich wiege den Kopf hin und her. Wenn es helfen würde, Baumanns psychischen Zustand zu verbessern, dann hätte ich gegen unkonventionelle Maßnahmen nichts einzuwenden. Aber deshalb glaube ich noch lange nicht, dass er tatsächlich die Macht hat, den Lauf der Welt zu verändern. Wahrscheinlich wird Baumann mir einen Taschenspielertrick servieren, indem er eine vermeintlich magische Handbewegung macht und dann behauptet, damit habe er das Leben der Braut zum Besseren gewendet. Man könnte ihm nicht einmal das Gegenteil beweisen, weil es Jahre dauern würde, bis man es nachprüfen könnte. Da es mich dennoch interessiert, wie sich mein Patient aus der Affäre zieht, sage ich locker: «Ach, ja. Warum eigentlich nicht?»
Baumann schaut mich an und scheint zu überlegen, ob er mir meine Bitte erfüllen soll. «Wollen Sie gleich die große Show, oder reicht Ihnen eine kleine Kostprobe?», fragt er lächelnd.
«Bitte keine Umstände», sage ich.
«Gut. Ich werde es mir überlegen», entgegnet Baumann abwiegelnd. «Aber zunächst würde ich gerne etwas anderes mit Ihnen besprechen.»
Er winkt Freddy an unseren Tisch und drückt ihm mit den Worten «Danke, stimmt so» einen Schein in die Hand.
Dann zieht er einen Umschlag aus der Innentasche seines Mantels und reicht ihn mir. «Fünfzehnhundert Euro.»
«Wofür?», frage ich.
«Ihr Honorar. Dafür, dass Sie mich nach München begleiten.»
Ich schaue auf den Umschlag, dann wieder zu Baumann.
«Übermorgen wären wir wieder zurück. Wenn Ihnen das Honorar nicht hoch genug ist, sagen Sie es bitte. Spesen gehen natürlich extra.»
«Und was wollen wir in München?»
«Meine Familie besuchen. Sie möchten meine Familie doch gern kennenlernen, um mehr über mich zu erfahren, oder etwa nicht?»
«Das habe ich nie gesagt.»
«Aber gedacht», sagt Baumann. Offenbar mache ich ein verwundertes Gesicht, denn er fügt hinzu: «Keine Sorge, ich kann nicht automatisch Ihre Gedanken lesen. Nur, wenn Sie intensiv an mich denken. Oder wenn ich mich auf Sie konzentriere.»
Immer noch schaue ich ihn verständnislos an.
«Na, irgendwie muss ich ja mit meinen Geschöpfen in Kontakt treten können – und meine Geschöpfe mit mir.»
«Ach, Sie meinen, als ich diesen Gedanken hatte, war das so etwas wie ein Gebet», sage ich und bin
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