Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
saftigen Trinkgeld hat Baumann den Kellner dazu bewegen können, uns zu dieser späten Stunde noch Brot und Käse zu servieren. Außerdem stehen fünf Viertelliter-Fläschchen Rotwein am Fenster, die Baumann mit den Worten «Ist ja nicht mehr als eine normale Flasche» auf Vorrat gekauft hat. Ich glaube, er hat sich absichtlich verrechnet.
Auf dem Weg zum Bahnhof ist der erste Schnee gefallen. Große Flocken haben die Stadt binnen weniger als einer halben Stunde in ein mattes Weiß getaucht. Momentan ist die Schneehaut noch dünn wie ein Negligé, aber schon morgen früh könnte eine dicke Decke daraus geworden sein.
Im Fahrtwind des Zuges wirbeln die Schneeflocken am Fenster vorbei, als würde draußen ein Sturm toben. Ich betrachte das Schauspiel und denke daran, dass Weihnachten vor der Tür steht. Bald wird auch dieses Jahr im Regal der Geschichte verschwinden und dort langsam verstauben. Die Zeit ist schon ein seltsames Ding.
«Gegen Weltverlorenheit hilft übrigens Wein», sagt Baumann unvermittelt und gießt mir großzügig ein.
Seine Worte reißen mich aus den Gedanken. «Sie schulden mir einige Erklärungen», stelle ich fest.
Baumann nickt. «Ich weiß. Morgen. Wir trinken und essen jetzt was, dann ruhen wir uns aus, und morgen beantworte ich Ihre Fragen.» Er sieht, dass ich gerne sofort reden würde und fügt hinzu: «Es war ein sehr langer Tag.»
Das stimmt. Ich spüre es an einem unangenehmen Ziehen in der Nasengegend. Trotzdem muss Baumann mir heute noch erklären, wie er das Geld für die Reise und mein fürstliches Honorar aufgetrieben hat. Ich möchte nämlich nicht mitten in der Nacht von der Bahnpolizei aus dem Abteil gezerrt werden, weil Baumann irgendwelche krummen Dinger gedreht hat. Wäre uns nicht die Hochzeitsschlägerei dazwischengekommen, hätte ich ihn schon früher gefragt. «Das Geld für diese Reise. Und mein Honorar. Ist das Ihr Erspartes?»
Baumann hält inne, überlegt und antwortet: «Nein, warum fragen Sie?»
Ich schweige und sehe ihn prüfend an.
Baumann stutzt, denkt nach, dann versteht er. «Glauben Sie etwa, dass ich es gestohlen habe?»
Ich ziehe die Schultern hoch. «Keine Ahnung. Sagen Sie es mir.»
«Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Ich gehe zwar nicht immer den geraden Weg. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich krumme Dinger drehe.»
«Schön. Dann sagen Sie mir doch einfach, woher Sie es haben.»
Er greift nach einem der Weinfläschchen, dreht den Verschluss ab und schenkt uns nach. «Nur damit Sie beruhigt sind: Ich habe das Geld gewonnen.»
Meine Augenbrauen wandern ein paar Millimeter nach oben. «Gewonnen?»
«Ja. Ganz legal gewonnen», fährt er fort. «Würde ich es drauf anlegen, könnte ich jedes Casino der Welt ausräumen. Will ich aber nicht. Ich bleibe bescheiden und verhalte mich unauffällig.» Er grinst. «Und wenn ich mal etwas Geld außer der Reihe brauche, gehe ich einfach in die nächste Spielbank und hebe ein bisschen was ab.»
«Gott ist ein Zocker? Interessant. Dabei hat Einstein doch behauptet: Gott würfelt nicht.»
«Ich weiß. Einstein war’n Klugscheißer», erwidert Baumann. «Gott würfelt nicht nur, er spielt auch sehr gern Roulette. Und Black Jack. Und manchmal pokert Gott sogar. Glauben Sie etwa, dass man so etwas wie den Menschen erschaffen kann, wenn man kein Glücksspieler ist?»
Als wir den Schlafwagen beziehen, ist es weit nach Mitternacht. Baumann hat uns eine Suite gemietet, was bedeutet, dass unsere beiden Abteile durch eine dünne Tür verbunden sind. Auch wenn sie geschlossen ist, kann man sich unterhalten, ohne die Stimme zu erheben. Da wir beide müde sind, ist unser Gespräch aber verebbt. Ich höre, dass Baumann geräuschvoll gurgelt. Das Plätschern eines Wasserhahns dringt durch die Tür. Es folgen ein «Gute Nacht» und das Klicken des Lichtschalters.
«Gute Nacht», erwidere ich und lösche ebenfalls das Licht.
So hundemüde, wie ich bin, müssten mir binnen Sekunden die Augen zufallen. Stattdessen starre ich hellwach ins Dunkel und rekapituliere meinen Tag mit Abel Baumann. Ich möchte der entscheidenden Frage ein Stück näherkommen: Wer ist Abel Baumann? Er ist nicht Gott, so viel ist sicher. Aber er scheint ein paar Tricks zu beherrschen, die einfache Gemüter ziemlich beeindrucken könnten. Vielleicht ist Baumann beim Zirkus einem Hellseher begegnet, der ihm seine Betriebsgeheimnisse verraten hat. Vielleicht war mein Patient auch selbst Illusionist, bevor er sich für eine
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