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Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Titel: Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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meinem Bett gelegen und davon geredet, dass du die Hochzeit am liebsten absagen würdest.»
    Eine ältere Dame legt ihren Arm um die Verschmähte und reicht ihr ein winziges Spitzentaschentuch. Gleichzeitig beginnt nun auch die Braut zu schluchzen. «War das etwa die Nacht, in der du angeblich kurzfristig nach Hamburg musstest?»
    Während der Bräutigam nervös zwischen den beiden Frauen hin und her schaut und fieberhaft überlegt, wie er die Situation entschärfen kann, erwacht die Gesellschaft aus der Schockstarre. Hier und da wird getuschelt, zwei junge Frauen, wahrscheinlich Brautjungfern, springen auf und kümmern sich um die Frischvermählte, deren Make-up gerade von Tränenbächen weggespült wird. Die betrogene Schwester weint sich unterdessen an der Schulter der älteren Dame aus.
    Rasch bemüht sich das Personal, den Glasschaden ohne viel Aufhebens zu beseitigen. Zudem werden eilig Schnäpse kredenzt. Wahrscheinlich sollen sie die Anwesenden beruhigen. Freddy scheint jedenfalls zu hoffen, dass er mit Spirituosen eine weitere Eskalation vermeiden kann. Er irrt.
    Mit leisem Surren löst sich ein elektrischer Rollstuhl von der Festtafel, in dem ein vierschrötiger Kerl um die sechzig sitzt.
    Während sich das Gefährt erstaunlich schnell auf den Bräutigam zubewegt, zieht der Fahrer einen Krückstock hervor, um ihm dem Hallodri mit den Worten «Du gottverdammte Drecksau» über den Schädel zu ziehen.
    Der Schlag verfehlt sein Ziel, denn der Bräutigam springt auf und weicht dem Angreifer aus.
    Geschrei unter den Gästen, ein Tumult entsteht.
    «Nein! Vater! Bitte nicht!», ruft die Braut.
    Der Mann im Rollstuhl hört nicht hin. Er ist durch die Wucht des Schlages nach vorne gekippt. Sein Toupet hat sich gelöst und versperrt ihm nun die Sicht. Er berappelt sich hastig und reißt dabei den Krückstock hoch. Der Knauf liegt zwischen den Beinen des Bräutigams, dessen Fuß in der Rückenlehne seines umgekippten Stuhls feststeckt. Mit voller Wucht rammt der Brautvater dem Bräutigam den Knauf in die Weichteile.
    Der Getroffene gibt keinen Mucks von sich, wirkt aber ungeheuer erstaunt, während sein Gesicht zügig die Farbe von Hüttenkäse annimmt. Außerdem presst er vor Schmerz die Beine zusammen, womit er den Stock mitsamt Knauf einklemmt. Wütend und ruckartig zieht der Brautvater den – wie man nun sieht – erstaunlich großen Knauf zwischen den Beinen des Bräutigams hervor. Diesmal geht ein gedämpftes «Uhh» durch die Reihen. Wahrscheinlich haben die meisten hier den gleichen Gedanken: Ein Schlag auf den Kopf wäre angenehmer gewesen.
    Der Bräutigam zeigt immer noch keine Reaktion. Schließlich huscht ein entrücktes Lächeln über sein Gesicht, er geht in die Knie und fällt mit dem Gesicht voran in seine Familienportion Tiramisu.
    Während die Gäste aufspringen und ich Freddy zum Telefon eilen sehe, greift Baumann nach seinem Koffer. «Ich würde gerne weg sein, bevor die Polizei hier ist. Das gibt sonst ja doch wieder nur Ärger.»
    Besorgt schaue ich Baumann an. «Im schlimmsten Fall kann ein Schlag in die Hoden so etwas wie einen Reflextod auslösen.»
    «Keine Sorge», beschwichtigt Baumann. «Er braucht jetzt nur ganz viel Eis und noch mehr Geduld. Wenn das Erbrechen und der Schüttelfrost vorbei sind, hat er das Schlimmste bereits überstanden. Jedenfalls wird er die Hochzeitsnacht nie vergessen.» Baumann deutet mit einem Kopfnicken zur Tür. «Was ist? Wollen wir los?»

    Als unser ICE bereits in voller Fahrt durch die Landschaft brettert, habe ich Baumanns Taschenspielertricks analysiert und bin nun sicher, das Puzzle zusammensetzen zu können. Ich vermute, dass mein Patient nicht mit einer derartigen Eskalation des Abends gerechnet hat, vielleicht aber schon mit einem kleinen Eklat. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass Baumann von der Affäre der Schwester mit dem Bräutigam wusste, so wie wahrscheinlich fast jeder am Tisch und womöglich auch Freddy, der es Baumann gesteckt haben könnte. Die Hoffnung auf das, was Baumann eben eine gute Show genannt hat, war also nicht unbegründet. Und Baumann musste auch damit rechnen, dass ich nach seiner Entlassung aus dem Polizeigewahrsam direkt informiert werden würde. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ich bei Freddy auftauchen würde. Mit Baumanns angeblicher Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, hatte das natürlich nichts zu tun.
    Zufrieden nippe ich an meinem Wein. Wir sind die einzigen Gäste im Bordrestaurant. Mit einem

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