Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
seine Wollmütze tiefer über die Ohren. «Jedenfalls wäre die logische Folge meiner aktuellen Misere, dass ich am Ende im Nirwana lande: Die Menschen verlieren mehr und mehr den Glauben an mich, also werde ich schwächer und schwächer, bis ich schließlich vielleicht sogar ganz verschwinde. Manchmal komme ich mir vor wie ein Gedanke, den sich die Menschheit aus dem Kopf schlagen möchte. Und mein Gefühl sagt mir obendrein, dass meine Zeit langsam knapp wird.»
«Und das hat angefangen, als Gott sich den Körper von Abel Baumann geliehen hat», rekapituliere ich und denke: Womit wir nun Abels Trauma wahrscheinlich einen entscheidenden Schritt näherkommen.
Er nickt. «Ich wusste damals sofort, dass Maria nach dieser gemeinsamen Nacht schwanger war. Und ich glaube, sie hat es auch gewusst. Am nächsten Tag kam sie zu mir, um unsere Affäre zu beenden. Vielleicht hoffte sie, dass ich mich aus dem Staub machen und Josef problemlos die Vaterschaft anerkennen würde.»
«Aber Gott hat sich nicht aus dem Staub gemacht.»
Abel sieht mich an und seufzt. «Viel schlimmer. Ich wollte es nach ein paar Tagen, konnte es aber nicht. Dabei wäre ich wirklich gern abgehauen. Es hat keine Woche gedauert, da war mir klar, dass das Kind bei Maria und Josef gut aufgehoben sein würde. Baumanns Seele war immer noch nicht zurückgekehrt. Also …» Er deutet mit der Hand ein startendes Flugzeug an.
«Also wolltest du dich vom Acker machen», vollende ich den Satz.
Abel nickt. «Aber es ging nicht. Ich hing plötzlich in diesem Körper fest. Und je mehr Anstrengungen ich unternahm, aus Baumanns Körper herauszukommen, desto tiefer schien ich hineinzurutschen. Zunächst dachte ich an einen vorübergehenden Zustand. Vielleicht ein göttlicher Schwächeanfall? Oder eine Wackelei in der Ordnung des Universums? Aber aus Tagen wurden Wochen, und aus Wochen wurden Monate, ohne dass auch nur die geringste Änderung eintrat.»
«Ist das denn kompliziert, diese Seelenwanderung?», will ich wissen.
«Überhaupt nicht», erwidert Abel. «Nicht schwieriger, als eine Tür zu öffnen oder zu schließen. Aber im Fall von Abel Baumann scheine ich den Schlüssel verlegt zu haben. Die Tür lässt sich nicht wieder öffnen.»
«Und du wartest seit mehr als zwanzig Jahren darauf, dass dieser Zustand sich ändert?», frage ich.
«Was sind denn schon zwanzig Jahre? Es hat über hundert Millionen Jahre gedauert, bis sich endlich mal ein Fisch aus dem Wasser getraut hat. Außerdem hatte ich ja eine Menge zu tun …»
«Züge anhalten und Flugzeuge kapern?», frage ich.
«Beispielsweise», bestätigt Abel. «Kurz vor der Geburt habe ich Maria und Josef eingeweiht. Ich dachte, wenn jemand Verständnis für meine Probleme hat, dann sind es die beiden. Fehlanzeige.»
«Sie haben mir heute erzählt, dass …», beginne ich.
«Ich weiß, was sie dir heute erzählt haben», unterbricht Abel.
«Oh. Gedankenübertragung?», vermute ich.
Er schüttelt den Kopf. «Nein. Diesmal hab ich schlicht an der Tür gelauscht.»
Leichter Schneefall setzt ein.
«Und jetzt merke ich, dass die Kräfte dieses Körpers, in dem ich seit über zwanzig Jahren gefangen bin, ebenso nachlassen wie meine eigenen. Und ich frage mich mit Sorge, was wohl passieren wird, wenn dieser Körper eines Tages den Geist aufgibt.»
Ich schaue in den Himmel. Schneeflocken stürzen lautlos herab. Sieht aus, als würde man durch einen Meteoritenschwarm fliegen.
«Was denkst du?», fragt Abel nach einer Weile.
«War es nicht so, dass du meine Gedanken lesen kannst?», antworte ich.
«Das heißt ja nicht, dass ich sie auch immer verstehe», entgegnet Abel.
«Ich dachte gerade, dass du sehr menschliche Probleme hast.»
«Und das passt natürlich nicht zu Gott», konstatiert Abel.
«An deiner Stelle wäre ich froh, ein Psychotiker zu sein. Wenn du wirklich Gott wärst, könnte dir wahrscheinlich niemand helfen.»
Abel seufzt. «Das ist es ja», sagt er.
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Gottes Sohn
Die Gemeinschaft des Klosters der heiligen Sonnhild von Simming besteht aus dreizehn Ordensbrüdern, die von Handwerk und Landwirtschaft leben. Das erfahre ich aus einem Prospekt, der im Empfangszimmer ausliegt. Ich hatte viel Zeit, ihn eingehend zu studieren, weil Abels Sohn uns bereits seit einer geschlagenen Stunde warten lässt.
Dem Klosterprospekt entnehme ich zwei wichtige Informationen. Zum einen hat der Laden offensichtlich ein Nachwuchsproblem. Ein Foto zeigt die Ordensbrüder.
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