Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Uhr. «Okay. Als ich in Abel Baumanns Körper geschlüpft bin, da wollte ich dort eigentlich nur ein paar Minuten bleiben. Aber dann hat Abels Seele offenbar beschlossen, nicht wiederzukommen. Also habe ich gewartet. Erst mal ein paar Stunden. An diesem Abend hatte Baumann ein Stelldichein mit Maria. Sie kam vorbei und hat ihn … also quasi mich … also mich in seinem Körper … verführt.»
«Du hast mit ihr geschlafen», fasse ich zusammen.
«Genau», bestätigt Abel. «Als Baumanns Seele am nächsten Morgen immer noch nicht wieder da war, hab ich noch mal einen Tag gewartet und dann entschieden, seinen Körper zu verlassen. Es war noch eine Menge anderer Dinge zu tun. Außerdem dachte ich: Tut mir leid, aber selbst schuld.»
«Selbst schuld …?»
Abel nickt. «Ich hab dir doch schon erzählt, dass ein Körper ohne Seele nicht leben kann.»
Ich brauche ein paar Sekunden, um die Dimension dieser Aussage zu begreifen. «Wie? Du hättest einfach so den Tod von Abel Baumann in Kauf genommen?»
Abel sieht mich durchdringend an. «Jakob. Nur mal fürs Protokoll: Ich bin Gott. Ich darf das.» Abel schaut wieder auf die Uhr. «Außerdem war Baumann selbst schuld. Ich wollte ihm einen Gefallen tun. Er hat’s verbockt.»
Abel steht auf, geht zur Tür und blickt hinaus. «Wie dem auch sei … du siehst, ich habe Abels Körper dann doch nicht verlassen. Ich wollte erst mal sicher sein, dass es Maria und dem Kind gutgeht …»
«Du hast sie … also Baumann hat sie … in dieser Nacht … geschwängert?»
«So sieht’s aus», sagt Abel und sieht hinaus.
«Bis Simming sind es noch fast zwanzig Minuten», bemerke ich.
«Ich weiß. Wir müssen für das letzte Stück den Bus nehmen.»
Er schaut wieder auf seine Uhr und legt nun seine freie Hand an die Notbremse.
«Abel?», frage ich alarmiert.
Er reagiert nicht, sondern blickt konzentriert auf seine Uhr.
«Abel!», rufe ich und springe auf, aber da ist es bereits zu spät.
Mit einem Ruck hat er die Notbremse gezogen. Die Bremsen kreischen, und ich werde unsanft auf den Sitz geworfen. Während die Fliehkräfte des bremsenden Zuges mich in die Polster drücken, habe ich so eine Art Vision. Ich sehe nämlich, dass die physikalischen Gesetze für Abel gerade nicht zu gelten scheinen. Obwohl er wie ich umhergeschleudert werden müsste, kommt er seelenruhig durch den immer noch lautstark bremsenden Zug spaziert und setzt sich hin, als wäre nichts gewesen.
Mit einem Ruck und einem letzten Kreischen kommt der Zug zum Stehen. Dabei werde ich vom Sitz auf den Boden befördert. Erstaunt rappele ich mich wieder hoch.
«Ich weiß, was du jetzt denkst», sagt Abel grinsend. «Die Fähigkeit, kurzzeitig physikalische Gesetze zu umgehen, könnte damit zusammenhängen, dass ich Gott bin. Könnte aber auch ein Trick sein, den ich im Zirkus gelernt habe. Vielleicht von diesen Typen, die Körperpyramiden bauen.»
«Warum hast du den Zug angehalten?», frage ich atemlos.
«Weil er in zwei Minuten entgleist wäre», erklärt Abel ruhig. «Vor uns, direkt unter den Gleisen, liegt eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Kälteeinbruch hat ihr den Rest gegeben. Deswegen geht sie gleich hoch.»
«Aha», sage ich leise.
Mit einem Zischen öffnet sich die Tür, und ein kalter Wind fegt durchs Abteil. Der gerötete Kopf eines rundlichen Kerls in Bahnuniform erscheint.
«Wer hat hier die Notbremse gezogen?»
Abel zeigt auf mich: «Der da war’s.»
Entgeistert starre ich ihn an.
«Nur’n Scherz», flüstert Abel. «Keine Sorge. Wir hauen sowieso gleich ab.»
«Und dürfte ich vielleicht auch erfahren, warum Sie die Notbremse gezogen haben?», fragt der überfordert wirkende Schaffner streng.
Ich schweige ratlos. Man hört nur das leise Säuseln des Windes.
Abel wirft derweil wieder einen Blick auf seine Uhr. Er hält kurz inne, dann schaut er mich an und seine Lippen formen ein tonloses Bumm!
Fast im gleichen Moment zerreißt eine Explosion die winterliche Stille.
Geschockt schaut der Beamte in die betreffende Richtung und verschwindet mit einen «ach du großer Scheißdreck, ach du großer!» aus unserem Blickfeld.
«Auf geht’s», sagt Abel. «Der Bus wartet nicht.»
Als wir wenig später durch kniehohen Schnee marschieren, ist Abels Laune blendend. Genüsslich atmet er die kalte Winterluft ein und betrachtet immer wieder die uns umgebenden Berge und Wälder. «Ist das nicht wunderschön, Jakob? Ich muss feststellen, dass meine Schöpfung zumindest
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