Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
selbst drum kümmern soll. Danke! Liebe Grüße! – Ach, und ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder!»
Ich beende die Verbindung, atme tief durch und genieße die klare, kalte Winterluft. Dann bestelle ich ein Taxi und suche unter der Plane nach ein paar Kleidungsstücken. Mir fallen ein Beutel mit Schuhen, ein Koffer mit Wäsche und ein Kleidersack in die Hände. Gut.
Den restlichen Kram kann Ellen meinetwegen tatsächlich verbrennen. Ich habe jetzt genug anzuziehen und bin obendrein im Besitz von fünfzehnhundert Euro, für die Abel wahrscheinlich keine Rechnung sehen will. Es gibt Leute, die unter schlechteren Bedingungen ein neues Leben anfangen.
Ich brauche eine knappe Stunde, um in die Stadt zu kommen. Es wird mir ewig ein Rätsel bleiben, warum mein Bruder unbedingt in Mitte wohnen muss. Es gibt hier kaum Bäume, die Cafés und Geschäfte sind ganz auf die Bedürfnisse der überall herumwimmelnden Touristen zugeschnitten, und entsprechend laut und hektisch geht es auf den Straßen zu. Muss man sich das alles antun, nur einer repräsentativen Adresse wegen?
Das Klingelschild hat die Größe eines Kriegerdenkmals und in der Mitte eine Wölbung, hinter der sich eine Kamera befindet, mit der die Hausbewohner anonym entscheiden können, wer ihre Festung betreten darf.
«Hallo, Jakob. Was machst du denn hier?» Jonas’ Stimme klingt ein bisschen ungehalten. Er scheint in Eile.
«Kann ich eine Weile bei dir wohnen?»
Die Kamera scheint zu überlegen.
«Ich würde dich nicht fragen, wenn ich eine andere Wahl hätte», füge ich hinzu. «Außerdem sind es sechs Grad unter null. Und es schneit.»
Ein Summen. Die Tür öffnet sich.
Das Foyer sieht aus wie der Empfangsbereich eines Grandhotels. Auf einem schweren, roten Teppich gelangt man zu den Fahrstühlen.
Ähnlich großzügig sind auch die Wohnungen bemessen. Mein Bruder hat ein Loft gemietet, das im Grunde aus einem einzigen Raum besteht; der allerdings hat die Größe eines Tennisplatzes. Es gibt noch ein Schlafzimmer und zwei Bäder, die im Vergleich zu der protzigen Wohnhalle lächerlich klein wirken. Ursprünglich wollte Jonas das Loft sogar kaufen, aber Russen und Amis hatten sich bereits alle Objekte unter den Nagel gerissen, kaum dass die Planung des Komplexes begonnen hatte.
Jonas liebt spartanische Wohnverhältnisse. Er besitzt nur ein einziges Bild. Es ist ein Popkunstwerk, das ein Mammut zeigt – ich vermute, in Originalgröße. Das Mammut hat die undankbare Aufgabe, die riesige Wand gegenüber der Fensterfront auszufüllen.
Vor dem Kamin steht ein schlichtes, hellgraues Sofa. Daneben ein kleiner Tisch mit Fachmagazinen für vermögende Singles. Es geht um schöne Frauen, schnelle Autos, Yachten, Chronographen und Waschbrettbäuche. Vom Kamin aus gesehen ist der Essbereich so weit entfernt, dass man den Eindruck hat, auf dem Weg dorthin könnte das Wetter umschlagen. Eine strahlend weiß lackierte Tafel mit passenden Stühlen verheißt gesellige Runden vor der offenen Designer-Küche. Das gute Stück wartet noch darauf, eines Tages eingeweiht zu werden. Jonas hat das Loft gleich nach der Sanierung übernommen, und da er entweder auswärts isst oder sich was kommen lässt, ist die perfekt gestylte und funktional höchsten Ansprüchen genügende Küche bislang nicht angetastet worden. Lediglich die eingebauten Fächer für Weinflaschen und der Kühlschrank sind in Gebrauch. Ich kenne einige hart arbeitende Hausfrauen, die angesichts einer solchen Verschwendung in Tränen ausbrechen würden. Und ich vermute, dass auch Jonas’ ukrainische Putzfrau mit starken Emotionen zu kämpfen hat, wenn sie allwöchentlich ein paar Staubkörner von der Anrichte pustet: Was könnte diese Küche nicht alles leisten, wenn man sie nur ließe?
«Ich komme gleich!», ruft Jonas. «Nimm dir was zu trinken oder so.»
«Kein Problem! Ich hab Zeit!», rufe ich zurück.
Ich lege meinen Kram zu Füßen des Mammuts ab, dabei fällt mein Blick auf zwei Koffer und einige Reisetaschen, die etwas versteckt neben dem Sofa stehen. Auf einem der Koffer liegt ein Flugschein. Ich sehe gerade noch, dass es sich um ein One-Way-Ticket für die 6.20-Uhr-Maschine von Prag nach Havanna handelt, als Jonas erscheint.
«Entschuldige, ich hab noch einiges zu erledigen, bevor ich abhaue.»
«Wieso Kuba? Und wieso fliegst du schon morgen früh?», frage ich entgeistert.
Er nimmt mir den Flugschein aus der Hand, faltet ihn rasch und steckt ihn wortlos in sein Sakko.
«Ausgerechnet
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