Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
schnappe mir erfreut einen Pomerol und finde nach kurzem Suchen Rotweinkelche und einen Dekanter, an dem noch das Preisschild baumelt. Mein Bruder ist wirklich ein Snob. Während der Wein atmet, flaniere ich durch die Wohnung und stelle dabei eher zufällig fest, dass sich in dem Sideboard neben dem Kamin ein versenkbarer Plasmabildschirm befindet.
Ich versorge mich mit Wein und zappe durch die Programme. Der Pomerol schmeckt göttlich. Im Fernsehen läuft das Vorweihnachtsprogramm, ein knallbuntes Potpourri aus Messen, Weltnachrichten, Weihnachtsliedern, Verkehrsdurchsagen, Bibelfilmen, Blitzeiswarnungen, Kindersendungen und jeder Menge Tipps rund um die anstehenden Feiertage. Wer immer noch nicht weiß, was er Weihnachten kochen, schenken oder singen soll, der kann es hier erfahren. Nach zehn Minuten Fernsehen fühle ich mich benebelt, obwohl ich erst zwei Schlucke Pomerol intus habe. Ich muss an Abels Worte denken: Dass der Mensch nie weiß, wann er genug hat. Ich glaube, da ist was dran, denn anders kann ich mir den hektischen und vollkommen überzogenen Quatsch, der auf allen Kanälen veranstaltet wird, beim besten Willen nicht erklären.
Mein Handy klingelt. Ich würde es gern ignorieren, aber nach diesem Klingeln wird es gleich noch mal klingeln, weil es mir signalisieren möchte, dass jemand auf die Mailbox gesprochen hat. Und dann wird es wieder klingeln, weil es mich an die Mailboxansage erinnern möchte. Und das tut es dann aus dem gleichen Grund eine Minute später noch einmal. All das finde ich dermaßen nervtötend, dass ich lieber gleich rangehe. «Jakobi.»
«Was machst du gerade?», fragt Abel.
«Nichts Besonderes. Warum?»
«Du wolltest doch über meine Therapie nachdenken. Ich dachte, du hast vielleicht eine Frage oder so. Ich will nämlich gleich ins Kino, und wenn ich einen Film sehe, höre ich nicht, was sonst noch in der Welt passiert.»
«Was schaust du dir an?», frage ich.
«Irgendeine Komödie», sagt Abel sonnig. «Du weißt doch, in Filmen werden alle Rätsel des Lebens gelöst. Na? Wer hat es gesagt?»
«Keine Ahnung.»
«Steve Martin in Grand Canyon .»
«Und? Hast du alle Rätsel des Lebens gelöst?»
Er lacht. «Was ist jetzt? Kann ich dir irgendwie behilflich sein?»
«Nein. Geh ruhig ins Kino. Viel Spaß.»
«Danke.»
Ich taste nach meinem Pomerol und nehme ein Schlückchen. Ein solcher Wein kann einem wirklich helfen, an ein höheres Wesen zu glauben, denke ich und merke zugleich, dass ich hundemüde bin. Vorsichtig stelle ich den Wein zurück, atme erneut tief durch und nicke auf der Stelle ein.
Der ebenso dezente wie melodische Klang der Türglocke reißt mich aus einem traumlosen Schlaf. Es ist stockfinster draußen, ich muss also mehrere Stunden geschlafen haben. An den Bodenleisten des Lofts leuchten kleine, bläulich schimmernde Lampen. Sie scheinen bei Dunkelheit automatisch anzugehen und sollen wohl die Bewohner davor bewahren, sich nachts zu verlaufen. Das schummrige Licht lässt den Flur wie die Gangway eines UFOs aussehen.
Wieder die Türglocke. Ich krame mein Handy hervor. Halb zwei. Wer will denn um diese Zeit meinen Bruder sprechen? Ich bin noch nicht ganz wach, deshalb brauche ich eine Weile für den Gedanken: Es ist Jonas’ Geliebte! Er hat heute Mittag noch prophezeit, dass sie ihm wahrscheinlich nachstellen wird. Eine Klette hat er sie genannt, und wenn ich mir vor Augen führe, wie spät es jetzt ist, dann kann ich das nur unterschreiben.
Zum dritten Mal die Türglocke. Ich beschließe, einfach nicht zu reagieren. In der Wohnung ist es still, und ich habe kein Licht angemacht. Wenn ich mich also weiterhin ruhig verhalte, wird Jonas’ enttäuschte Geliebte irgendwann aufgeben und sich trollen.
Stille. Ich frage mich, wie sie wohl aussehen mag. Mein Bruder hat ein Faible für große, superschlanke Frauen, gazellenartige Models, neben denen ein normal gebauter Mann wie der Koloss von Rhodos aussieht. Ob die Frau des Vorstandsvorsitzenden seinem Beuteschema entspricht?
Noch mal die Türglocke, diesmal nur kurz. Es scheint, als würde die verschmähte Geliebte langsam aufgeben. Mir fällt ein, dass ich mittels der Überwachungskamera einen unbemerkten Blick auf sie riskieren könnte, wenn ich denn wollte. Aber will ich das?
Schließlich siegt meine Neugier. Leise schleiche ich durch den Flur, aktiviere das Display am Eingang und sehe … nichts. Vor dem Haus ist lediglich ein leerer, nächtlicher Bürgersteig zu erkennen. Konzentriert betrachte
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