Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Verpflichtung», wiederhole ich und versuche anhand Abels Reaktion einzuschätzen, ob sich hinter dieser Aussage eine gute oder eine schlechte Nachricht verbirgt.
Er nickt lediglich.
«Und?», frage ich. «Soll ich mir das anschauen oder lieber nicht?»
Abel wiegt den Kopf hin und her. «Na ja», sagt er gedehnt nach einigem Zögern. «Doch, denke schon. Ja. Kann man machen.»
Ich nicke, und im gleichen Moment befinden wir uns in einer Art Kantine. Die Einrichtung ist ebenso spartanisch wie das hier angebotene Frühstück. Aber das stört die Anwesenden nicht im mindesten. Den meisten hier ist ins Gesicht geschrieben, dass sie selten regelmäßige Mahlzeiten bekommen. Die Helfer, die sich um das Wohl der hier versammelten Obdachlosen kümmern, füllen im Minutentakt Platten mit Wurst- und Käsebroten. Auch der Ausschank von Kaffee und Tee scheint kein Ende zu nehmen. Sobald an einem der Tische ein Stuhl frei wird, rückt ein neuer Besucher nach. Ich überschlage, dass etwa vierzig Leute hier Platz haben. Im Laufe des Vormittags können bestimmt einige Hundert Bedürftige mit Speisen und Getränken versorgt werden.
Mutter steht an einem aus zwei zusammengestellten Tischen improvisierten Ausschank und kümmert sich darum, dass der Nachschub von Tee und Kaffee nicht abreißt. Um sie herum sind Leute damit beschäftigt, Brote zu schmieren, andere Helfer beliefern die Tische oder tragen das gebrauchte Geschirr ab. Alles passiert schnell und routiniert, damit die hungrigen Gäste, die noch vor der Tür stehen, nicht zu lange warten müssen.
Mutter sieht fast genauso aus, wie ich sie kenne. Sie ist schlank und trägt die schwarz gefärbten Haare kurz. Ihr Make-up ist dezent und akkurat. Lediglich ihr Modestil scheint nicht so edel und kostspielig zu sein wie im richtigen Leben, denn sie trägt ein für ihre Verhältnisse unauffälliges graues Kleid. Vielleicht liegt das aber auch am Anlass. Wie ich Mutter einschätze, möchte sie schlicht vermeiden, dass eines ihrer Haute-Couture-Modelle durch Billigschmierkäse ruiniert wird.
«So wie gerade ist sie immer angezogen», sagt Abel. «Deine Mutter hat in diesem Leben weder das Geld noch die Lust, sich aufzubrezeln. Auf Besuche bei der Kosmetikerin verzichtet sie übrigens ebenfalls.»
Ich beobachte, wie Mutter freundlich, zupackend und bescheiden ihren Job erledigt, und bin beeindruckt.
«Diese gewisse Zurückhaltung steht ihr ganz gut», stelle ich fest. «Und dass sie eine wohltätige Organisation nicht einfach nur mit Geld unterstützt, sondern auch durch ehrenamtliche Arbeit, finde ich geradezu sensationell. Sie hat sogar den Kuchen für unsere Kindergeburtstage liefern lassen, weil sie zu faul war, welchen zu backen.»
«Sie ist keine ehrenamtliche Mitarbeiterin», erklärt Abel. «Sie leitet diesen Verein. Und nicht nur das, sie hat ihn gegründet und zu einer der wichtigsten karitativen Einrichtungen im Rheinland gemacht. Das hier ist ihr Lebenswerk, zumindest ein Teil davon.»
Ich schaue Abel ausdruckslos an.
Er wirkt amüsiert. «Ich weiß, was du sagen willst. Wenn du nie das Licht der Welt erblickt hättest, wäre nicht nur dein Vater noch am Leben, dein Bruder würde auch keine Banken ausplündern. Obendrein hätte deine Mutter ihre Fähigkeiten nicht damit verschleudert, sich ausschließlich um deinen Vater zu kümmern. Im Gegenteil. Sie würde eine angesehene karitative Organisation leiten, die an einem einzigen Weihnachtsmorgen ein paar Hundert Bedürftige mit Essen versorgt. Wie unbedeutend erscheint doch im Vergleich dazu ihr richtiges Leben.» Abel sieht mich durchdringend an. «Habe ich deine Enttäuschung in etwa auf den Punkt gebracht?»
«Sogar ziemlich genau», sage ich. «Und? Kann man es mir verdenken?»
Abel zuckt mit den Schultern. «Alles eine Frage des Standpunktes, wenn du mich fragst. Vielleicht unterstützt deine Mutter mit diesem Verein nur deshalb andere Menschen, weil sie sich nicht für deinen Vater aufopfern konnte.»
«Und wieso wäre das ein Trost für mich?», will ich wissen.
«Nachdem dein Vater sie verlassen hat, ist deine Mutter mit Jonas allein geblieben», erwidert Abel. «Und das, obwohl es nur so von Männern wimmelt, die sich eine aufopferungsvolle Ehefrau wünschen.»
«Vielleicht weil sie alleinerziehend war», wende ich ein. «In den Siebzigern galt das noch als Hinderungsgrund für eine Beziehung.»
«Aber sie war auch klug, interessant und vorzeigbar», hält Abel dagegen.
«Gut, worauf willst du
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