Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Titel: Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
Vom Netzwerk:
ich ihr nie zugetraut hätte, zu sich an den Abgrund. Nur durch panisches Gezappel kann ich verhindern, dass ich abstürze. Mein Herz schlägt bis zum Hals, mein Atem geht keuchend. Entsetzt starre ich Hanna an. Sie erwidert meinen Blick, und diesmal ist der ihre ganz direkt und völlig klar.
    «Spüren Sie das?», fragt sie. «Wie das Blut durch die Adern schießt? Wie der Puls rast? Wie die Lungen sich mit frischer Luft vollpumpen?» Ihr Blick wandert zum Horizont. «Man spürt besonders intensiv, dass man am Leben ist, wenn man zuvor in einen Abgrund geschaut hat.»
    Ich brauche einen Moment, um meine Sprache wiederzufinden. «Leider habe ich ein bisschen Höhenangst», antworte ich dann, immer noch mühsam Atem schöpfend. «Außerdem gehöre ich eher zu jenen Menschen, die besonders intensiv spüren, dass sie am Leben sind, wenn man ihnen ein gutes Glas Wein vorsetzt. Ich bin nicht so der Typ Adrenalinjunkie.»
    Sie schaut mich an. «Höhenangst? Und trotzdem haben Sie mich vor dem Sprung in die Tiefe retten wollen? Alle Achtung. Ich fühle mich geehrt.»
    «Wobei es ja im Moment eher so aussieht, als müssten Sie mich retten», erwidere ich schlotternd.
    Sie lacht. «Kein Problem. Ich kenne mich aus. Ich stand schon öfter hier oben. Und ich gebe zu, ich habe tatsächlich einige Male darüber nachgedacht, zu springen.»
    «Sie sollten nichts überstürzen. Was halten Sie davon, wenn wir beide jetzt gemeinsam einen ganz kleinen Schritt vom Rand zurücktreten?», frage ich diplomatisch.
    «Entspannen Sie sich», sagt sie, ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. «Wenn man hier am Abgrund steht, dann ist es am wichtigsten, dass man nicht verkrampft, sonst fällt man nämlich runter wie ein Stein.»
    «Danke für die Information», sage ich und merke, dass ich zügig zu verkrampfen beginne.
    «Keine Sorge. Ich habe nicht vor zu springen», sagt sie. «Zumal mir jetzt, wo ich die Verantwortung für ein anderes Leben trage, mein Leben nicht mehr allein gehört.»
    «Das freut mich. Können wir das vielleicht trotzdem irgendwo im Erdgeschoss besprechen?», bitte ich inständig.
    Sie sieht mich an. «Stimmt das? Sie wissen, wo Ihr Bruder ist? Und Sie können mich tatsächlich zu ihm bringen? Oder haben Sie das nur gesagt, um eine potenzielle Selbstmörderin vom Äußersten abzuhalten?»
    Ich schüttele den Kopf. «Anders als mein Bruder sage ich manchmal die Wahrheit.»
    Ich glaube, ein winziges Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen. Dann spüre ich erleichtert, dass sie mich vorsichtig vom Dachrand wegzieht.
    Wenig später sitzen wir in einem chinesischen Imbiss vor zwei dampfenden Tassen Tee. Während ich nicht nur leichenblass aussehe, sondern mich obendrein immer noch zittrig fühle, hat unser luftiges Abenteuer Hanna lediglich hungrig gemacht. Sie möchte gerne etwas essen.
    Das erinnert mich schlagartig an meine Verabredung mit Ellen, zu der ich nach Lage der Dinge wohl zu spät erscheinen werde. Ich verfrachte Hanna rasch in ein Taxi und informiere Mutter darüber, dass nun ihr die Aufgabe zufällt, der künftigen Schwiegertochter schonend die Wahrheit über Jonas beizubringen. Da Mutter Hanna ja sowieso kennenlernen will, können die beiden auch gleich sämtliche wichtigen Fragen bei einem ungezwungenen Abendessen klären.
    Ich erwarte kein Lob für meinen Vorschlag, eher ein paar spitze Bemerkungen. Umso mehr wundert es mich, dass Mutter höchst erfreut reagiert.
    «Eine sehr gute Idee, Jakob. Es gibt nämlich Dinge, die bespricht man am besten direkt von Frau zu Frau. Ich wünsche dir ebenfalls einen schönen Abend, und bestell doch bitte Ellen ganz, ganz liebe Grüße von mir!»
    Noch bevor ich sie bitten kann, nicht immer mit meiner Exfrau zusammenzuglucken, hat Mutter bereits aufgelegt.
    Im Turm zu Babel ist es laut und ungemütlich. Ellen hat schlechte Laune, und das gleich aus mehreren Gründen. Zum einen erscheine ich zehn Minuten zu spät, was sie als Beleidigung empfindet. Immerhin hat sie äußerst wichtige Termine abgesagt, um mich zu treffen. Dass ich mich um die schwangere Hanna kümmern musste, hält Ellen für eine faule Ausrede.
    Zum anderen ist der Turm zu Babel mehr Szenekneipe als Restaurant. Für meine Exfrau, die sich sonst gern zu klassischer Musik Krustentiere servieren lässt, ist damit Beleidigung Nummer zwei erfolgt.
    «Was sollen wir hier essen?», blafft sie mich an. «Burger mit Fritten?»
    «Ganz genau», erwidere ich. «Allerdings habe ich mir sagen lassen, dass es

Weitere Kostenlose Bücher