... und ich höre doch!: Ein technologisches Abenteuer zwischen Silicon Valley und den Alpen (German Edition)
stimmen oder meine eigene Lautstärke erkennen konnte. Ich spielte zwar Musik, aber sehr schlecht.
Mrs. Sigg wusste von meinem Gehörschaden, sprach immer laut mit mir und hielt Augenkontakt. Sie war auch nicht zögerlich im Umgang mit mir und schrie mir oft Anweisungen ins Ohr. Irgendwie schaffte ich es, geradeso die Töne des Instruments zu hören oder eigentlich die Schwingungen durch meine Zähne zu fühlen. Es machte mir Spaß, und anders als die meisten Kinder übte ich auch genug, um ein bisschen besser zu werden, obwohl ich es natürlich aufgrund meines Gehörs nie zu besonderer Meisterschaft brachte. Zusammen mit einem anderen Mädchen aus Mrs. Siggs Klasse musste ich sogar vor der versammelten Gemeinde bei dem Weihnachtsspiel in der St. Luke’s Lutheran Church spielen. Wir spielten „Stille Nacht“, nach den Anfangszeilen setzte die Orgel in voller Lautstärke ein.
Später spielte ich in der Schulband Saxophon, was nicht schwer war, weil ich die Fingersätze schon von der Blockflöte her kannte. Während der gesamten High School spielte ich Sax und war sogar in der Homestead High School Marching Band, der „flottesten Band im Westen“. Ich glaube, meine Rettung war, dass ich durch meinen Hörschaden ein gutes Gefühl für Takt und Rhythmus entwickelt hatte, denn ich konnte den Beat durch den Boden spüren. Immer wenn Mrs. Siggs leicht auf den Boden klopfte, konnte ich die Vibrationen fühlen. Abgesehen von diesem Talent spielte ich sicher ziemlich schlecht, aber vielleicht hatten die Leute auch mehr Geduld mit mir. „Schau, das taube Kind spielt was“, konnte ich von den Lippen einer Person einmal ablesen. Ich hatte meine Mutter und Mrs. Siggs in Verdacht, in dieser Hinsicht konspirativ tätig gewesen zu sein. Um das Argument zu unterstützen, dass ich durchaus an einer normalen Schule bleiben könnte, ließen sie mich Musik spielen. Das Tolle an Musikstunden ist, dass dort wenig gesprochen wird, außerdem sind Musiklehrer meist sehr laute und lebhafte Personen, die gern quer durch den Raum ihre Schützlinge anschreien. Das war eine große Erleichterung für mich, denn in den anderen Stunden musste ich meist ganz vorne sitzen, wo sich dann die Lehrer vor mir aufpflanzten und laut sprachen. Die meisten schrien dauernd aus nächster Nähe. Ich schätze durchaus die gute Absicht und bedaure die Stimmbeschwerden, die das verursacht haben muss, aber eigentlich hätte es mir mehr geholfen, ihre Lippen zu sehen. Wann immer sie sich zur Tafel drehten, war es unmöglich für mich mitzukommen, egal wie laut sie sprachen. Oft gab ich die perfekte Antwort auf eine ganz andere Frage als die gestellte. In den Musikstunden hingegen kam es selten zu dieser Frage-Antwort-Situation.
Meine Eltern meldeten mich auch für den Kinderchor der St. Luke’s Lutheran Church an. In einem Chor zu singen und Musikstunden zu haben, half mir zwar, die Welt der Töne bewusster zu erleben, gleichzeitig wurde mir aber auch stärker bewusst, wie viel mir fehlte.
Unsere Familie besuchte die St. Luke’s Lutheran Church, seit wir in Sunnyvale angekommen waren. Dann kam es zur großen Spaltung der Lutheran Church, und wir mussten die Gemeinde verlassen und zu einer anderen Lutheran Church in Los Altos wechseln. Wenn Sie jemals von offizieller Religion desillusioniert werden wollen, schlage ich Ihnen vor, sich mit der Spaltung zu befassen, die in den 1970ern in der Lutheran Church stattfand und die Missouri-Synod-Lutheraner betraf. Da wurde aufgebauscht, hinterhältig gedacht, kleinlich, rachsüchtig, politisch intrigiert und alles Mögliche getan, was nicht der christlichen Lehre entspricht.
In St. Luke’s wurden wir jeden Sonntag mit der außergewöhnlichen Sangeskraft der Familie von Pastor Mitchell überschwemmt. Die Tochter Claudia dröhnte auf der Orgel, während der Pastor vorne die Luft mit seiner großen, kräftigen Tenorstimme erfüllte. Sein Sohn Paul bearbeitete inzwischen den Synthesizer, dazu kam noch ein Chor mit Jugendlichen, einer mit Erwachsenen, ein Glockenchor und verschiedene andere Instrumentalisten. Das war ein wöchentliches musikalisches Großereignis, so als ob jede Woche eine Live-Performance von Sonny und Cher in der Kirche stattfinden würde. Wenn die Mitchells einen wirklich guten Tag hatten, konnte der Gottesdienst auch schon mal zwei Stunden dauern.
Während meiner Junior-High-School-Zeit verbrachte ich viel zu viele Stunden in der Kirche. Zwei Jahre lang ging ich montags und mittwochs zum
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