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... und ich höre doch!: Ein technologisches Abenteuer zwischen Silicon Valley und den Alpen (German Edition)

... und ich höre doch!: Ein technologisches Abenteuer zwischen Silicon Valley und den Alpen (German Edition)

Titel: ... und ich höre doch!: Ein technologisches Abenteuer zwischen Silicon Valley und den Alpen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geoffrey Ball
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Konfirmationsunterricht. Am Dienstag war Chorprobe, am Sonntag Sonntagsschule und anschließend Gottesdienst. Ich hasste das, dieselben alten Geschichten, wieder und wieder. Viele der Kirchenlieder und -texte schienen geschraubt und unklar, aber was sollte ich tun?
    Ich glaube nicht, dass ich Pastor Mitchell je besonders aufgefallen bin – bis zu dem Zeitpunkt nach meiner Konfirmation, als ich zu ihm ins Büro ging: „Pastor Mitchell, letzte Woche wurde ich konfirmiert, ich bin jetzt ein erwachsenes Mitglied der Gemeinde. Heißt das, dass ich mit allen Rechten eines Erwachsenen an der Kirche teilnehmen kann?“
    „Ja, natürlich“, sagte er, „du bist jetzt in Gottes Augen ein Erwachsener.“
    „Okay, also will ich als erwachsenes Mitglied dieser Kirche das Evangelium vorlesen, so wie die anderen erwachsenen Mitglieder.“
    Er sah mich fassungslos an. Die Lesungen aus dem Evangelium waren die Domäne der älteren Gemeindemitglieder und eine Ehre. Meine Motivation war allerdings weniger die Ehre, sondern eher die Hoffnung, die endlos langen Gottesdienste etwas weniger langweiliger für mich zu machen. Nach ein paar Wochen erhielt ich eine Robe und schritt in der Eingangsprozession neben Pastor Mitchell, setzte mich in eine Bank rechts (was ironischerweise fast identisch mit meiner Position in der Grundschule war). Im entscheidenden Moment des Gottesdienstes gab mir der Pastor ein Zeichen, ich stieg auf die Kanzel und schmetterte der erstaunten Gemeinde die Lesung entgegen. Ich konnte nicht einmal über die Kanzel schauen, so wurde ich auch nicht gesehen. Es war meine erste öffentliche Rede, und der Gottesdienst verging schneller. Fast ein Jahr lang hielt ich die Lesungen, dann wollten auch andere Eltern ihre Kinder lesen lassen. Ich lernte, dass ein öffentlicher Auftritt Selbstvertrauen und eine klare Aussprache braucht, und es machte mir Spaß.
    Gehörgeschädigt oder taub und gleichzeitig schüchtern zu sein, schließt einander fast aus. Um in der Welt der Hörenden Erfolg zu haben, braucht man Mut und aktives Handeln. Wenn man schüchtern ist und sich nicht traut, jemanden zu bitten, lauter zu sprechen, hat man es schwer. Ich erfasste auch rasch, dass es besser war, ein Gespräch anzufangen, denn dann konnte ich es kontrollieren, wusste, worum es ging und konnte leichter folgen. Wenn ein Gespräch jedoch eine unerwartete Wendung nahm, konnte ich den anderen nicht folgen und war verloren. Je mehr ich sprach, umso mehr verstand ich. Ich hatte auch bald die Technik heraus, einen Satz mit einer Frage zu beenden und dann die Antwort von den Lippen zu lesen, was leichter ist, besonders, wenn es eine Ja/Nein-Frage ist. Der Schlüssel zu gutem Lippenlesen ist es, immer vorherzusehen, was der andere wahrscheinlich als Nächstes sagen wird. Das konnte man erleichtern, indem man an gewissen Punkten zu sprechen aufhörte. Ich erriet auch oft, was jemand vermutlich nicht sagen würde. Wenn aber etwas völlig Unerwartetes auftaucht, dann bin ich verloren. Also, um es kurz zu machen: Ich spreche zu viel. Das wird jeder bestätigen.
    In der St. Luke’s Lutheran Church unternahm Pastor Mitchell große persönliche Anstrengungen, die Lehre auch den tauben Gemeindemitgliedern nahezubringen. Er stellte einen tauben Seelsorger an, er begann, eine taube Gemeinde zu versammeln, und bald führte er auch Kurse für Gebärdensprache für die anderen Mitglieder ein. Eine Teletype-Maschine wurde installiert, und bald gab es fünf bis zehn Leute, die oft von weit her zu unseren schrecklich langen und langweiligen Gottesdiensten fuhren, die jetzt für Gehörlose in Gebärdensprache übersetzt wurden. Der Übersetzer stand links von der Kanzel und übersetzte alles, sogar die Musik. Ich kann mich erinnern, wie alle Mädchen herumgerannt sind und „I love you“ und „Jesus is Lord“ gesungen und dabei die Handzeichen für die einzelnen Buchstaben geübt haben. Gebärdensprache war en vogue in St. Luke’s. Aber der taube Hilfspastor konnte Lippenlesen, und zwar extrem gut. Er hatte aber auch gelernt, auf sehr gutem Niveau zu sprechen. Die Gebärdensprache war mir unheimlich, und ich wollte sie nicht lernen, weil ich dachte, ich müsste sie dann auch verwenden. Ich gab es nach den ersten Versuchen auch bald auf.
    Dr. Mansfield Smith war absolut dagegen, dass ich die Gebärdensprache lernte.
    Er erklärte meiner Mutter einmal: „Mrs. Ball, wenn Sie zulassen, dass Geoffrey Gebärdensprache lernt, kann er nur mit Leuten kommunizieren,

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