und ihre Gaeste
Lehrerin von manchem Ärger, den sie mit ihren Schülerinnen hatte.
„Sind Sie sehr streng?“, fragte Nanni treuherzig. „Vielleicht versuchen Ihre Mädchen deshalb, Sie zu ärgern.“ Kaum war die Frage heraus, erschrak sie.
Doch die Lehrerin nahm es nicht übel. „Zu streng?“, fragte sie. „Das glaube ich nicht. Doch ich fürchte, ich habe zu wenig Kontakt zu den Mädchen, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Nicht ganz“, gab Nanni zu.
„Ich meine, dass die Kinder mich im Grunde zu wenig interessieren. Ich versuche ihnen möglichst viel beizubringen. Das ist mein Beruf. Doch wie sie sind, ob lebhaft oder still, ob musikalisch oder für Sprachen oder sonst was begabt, ob sie Geschwister haben, ob sie in den Ferien verreisen und wie sie untereinander befreundet sind, das ist mir gleichgültig. Wahrscheinlich ist das grundfalsch. Ich merke es an eurer Lehrerin, der französischen Dame. Die lebt mit euch. Schüler sind keine leeren Pappdosen, die man füllt und in die Welt hinausschickt.“ Nanni sah die Frau von der Seite an. Der Vergleich war gut: Sie hatte also bloß Wissen in die Mädchen hineingestopft - sonst waren sie ihr gleichgültig geblieben.
„Aber von nun an wird es anders“, fuhr die Lehrerin fort. „Ich werde mich bald mit eurer guten Mamsell darüber unterhalten.“
Da werden sich die Mädchen an ihrer Schule sehr wundern!, dachte Nanni im Stillen.
Plötzlich zeigte die Lehrerin auf ein Tuch. „Ein Kindertaschentuch! Das könnte Christian verloren haben.“ Es hing an einem Busch, hinter dem ein schmaler Pfad vorbeilief. Neugierig sahen sie sich um. Kaum zu glauben: Da lag der kleine Bursche, nicht weit davon entfernt, im Gras und schlief friedlich!
Einen Augenblick betrachteten sie ihn stumm. Dann stieß Nanni ein ehrliches „Gott sei Dank!“ aus und erklärte sofort: „Ich laufe schnell zurück. Würden Sie sich um den Jungen kümmern?“
„Natürlich! Beeil dich, damit seine Mutter sich keine Sorgen mehr zu machen braucht.“
Nanni flog förmlich durch den Wald und winkte schon von Weitem, als sie Frau Strube neben Frau Roberts am Zaun warten sah. „Gefunden!“, rief sie und schilderte, wo Christian war.
„Bringst du mich hin?“, bat Frau Strube, während Frau Roberts ins Haus ging, um das verabredete Zeichen zu geben: Der Hausdiener sollte aus einem uralten Jagdgewehr drei Schüsse abgeben, die weit ins Tal und durch den Wald dröhnten. So hatte es Herr Marcel angeordnet.
Frau Strube rannte beinahe. Nanni, die sowieso außer Atem war, musste sich anstrengen um Schritt zu halten. „Erschrecken Sie ihn nicht“, bat sie, als sie sich der Stelle näherten, wo Christian geschlafen hatte. Doch ihre Warnung war nicht nötig. Sie hörten den Jungen vor Vergnügen laut krähen und sahen ein unerwartetes Bild: Die alte Lehrerin saß mit ihm auf einem Baumstamm und bemühte sich, auf einem Blatt zu blasen. Sie brachte aber bloß ein paar Quietscher und Quäktöne zustande. Deshalb lachte Christian herzlich. Doch als er die Mutter sah, schrie er und rannte ihr entgegen.
„Christian, warum bist du nur weggelaufen?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Wir haben solche Angst um dich gehabt.“
Er sah sie listig von der Seite an: „Zwerge suchen und Bären fangen.“
Er fühlte sich als Held des Tages, sobald er wieder in der Fuchsenmühle war. Nur dass ihn die Frauen alle in den Arm nahmen, fand er albern. Da war es doch viel schöner, dass Herr Marcel ihm auf die Schulter schlug und fragte: „Wolltest du auf Abenteuer gehen, junger Mann?“
„Wollte ich“, antwortete er ernsthaft und nickte.
„Eigentlich geht es wieder einmal ungerecht zu“, sagte Hanni entrüstet zu den anderen. „Mit dem Ausreißer wird so viel Theater gemacht. Sie feiern ihn beinahe als Helden. Seine Schwestern dagegen werden regelrecht geschnitten. Alle tun, als hätten sie wer weiß was verbrochen, und sie sind doch auch noch klein.“
Ja, wo waren die Mädchen eigentlich? Sie hatten doch seit Mittag nichts mehr gegessen. Frau Strube machte sich deshalb anscheinend keine Sorgen. „Christielein“, rief sie immer wieder, „wo steckst du? Lauf nicht etwa wieder fort.“
Dem kleinen Burschen schien es nicht sonderlich zu gefallen, dass die Mutter ihn nicht aus den Augen ließ. Immerhin machte er das Beste daraus, ließ sich mit Leckereien füttern, bekam Eis und Kuchen, so viel er wollte. Seine Mutter las ihm sogar Geschichten vor.
Beim Abendessen saßen die beiden noch allein am Tisch.
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