Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
Vom Netzwerk:
gleichmäßige Rauschen hineinzulassen, mehr gab es nicht. Vielleicht ein Hörspiel oder irgendeine Radiosendung, in der gelangweilte Jugendliche anrufen und versuchen, den Moderator zu verarschen, indem sie sich Geschichten ausdenken, die dieser aber schon hundertmal gehört hat. Ich mochte das warme Gefühl von Kaffee, wenn er, vor der Tankstelle aus dem Becher getrunken, irgendwann im Magen ankam und sich verteilte, langsam und behäbig. Manchmal ging ich auf einem Parkplatzein paar Schritte an der frischen Luft, sah die Lichter in der Ferne blinken. Ich konnte mich an keinen Moment erinnern, in dem ich nachts im Auto traurig gewesen war. Doch das hier war anders, und auf schmalen Landstraßen wurde mir mulmig, wenn ich nichts sah. Es gab keinen beruhigenden Standstreifen, keine zweite Spur zum Wechseln, wenn sich jemand näherte. Ich erschrak vor den Kreuzen am Straßenrand, die unvermittelt auftauchten, und als Frau Benimm plötzlich blinkte und in einen Waldweg abbog, war ich einem Herzinfarkt nahe, krallte die Finger ins Lenkrad und versuchte, »Der Mond ist aufgegangen« in Gedanken aufzusagen.
    Eine Weile ging es nur durch einen dunklen Wald, dann schaltete sich eine Laterne an, und wir hielten vor einem Haus. Man konnte den Himmel kaum von den schwarzen Bäumen unterscheiden, und direkt über uns lag wie grauer Stoff ein Fetzen Licht. Wir sahen keine Sterne. Unsere Schuhe knirschten auf den Kieseln des Weges, und ich musste an Hänsel und Gretel denken, mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Der Wald atmete uns an, nicht nass und warm, sondern kalt, nicht beruhigend, sondern bedrohlich. Als ginge er auch hinter den letzten, zackigen Baumspitzen noch ewig weiter, als gebe es keine Stadt und kein Dorf, sondern nur diesen endlosen Wald. Und dieses Haus war unsere Insel. Vor uns öffnete sich eine Tür, die Treppe dorthin war von großen Feldsteinen gesäumt, die im Licht der Türbeleuchtung blassgelb schimmerten. Sie lagen dort wie Tiere, wie nasse Seehunde an einem Strand, und Lene strich mit der Hand über den größten, kurz bevor unsder eigenwillige Geruch des Hauses vollkommen umschloss. Es roch nach sauren Gurken und geräuchertem Schinken, nach süßlichem Curry und den Zuckerketten, die wir uns als Kinder um die Hälse und Handgelenke hängten und deren rosagelbblauweißen Perlen wir schon nach einem Tag abgeknabbert hatten. Jedes Mal, wenn ich wieder eine Kette verputzt hatte, musste ich doppelt so lange Zähne putzen wie sonst, meine Mutter stand neben mir und schaute abwechselnd auf ihre Armbanduhr und auf mich, während mein Vater eine Wärmflasche für meinen schmerzenden Bauch füllte und noch einmal mit einem Handtuch abrieb, bevor er sie mir unter die Decke steckte. Im Flur von Frau Benimm versuchte ich auszumachen, woher die Düfte kamen, aber sie schienen ins Haus eingebaut zu sein, aus allen Ritzen und Winkeln zu kriechen. Es roch nach getrockneten Orangenscheiben und Vanillemilch, ein bisschen nach Essig und Oregano. Und dann war da noch etwas, von dem ich nicht sagen konnte, was es war, es war überall, egal, in welche Richtung man sich drehte, und mir wurde fast schwindelig davon.
    An den Wänden ihrer kleinen Küche am Ende des Flures hingen Kochutensilien in kleinen Sträußen und an Holzleisten: Löffel und Kellen, Schalen und Siebe, dazwischen ein paar Netze mit Zwiebeln und Knoblauch. Und Lene und ich bekamen große Augen, ich hätte alles scannen wollen oder photographieren, um mir in Ruhe die kleinen Schätze und Sammlungen anzusehen. Ein Pfauenauge saß ganz still auf einer braun angelaufenen Banane wie auf einer Schaukel, und man wusste nicht genau, ob es noch lebte. Frau Benimmmachte Tee, Lene hatte auf der hölzernen Bank in der Ecke neben dem Fenster Platz genommen und steckte mit geschlossenen Augen ihre Nase in den großen, braunen Topf aus Ton, in dem sattgrüne Kräuter vor sich hin wuchsen. Ich blieb unschlüssig stehen und verlagerte mein Gewicht von einem Bein aufs andere, jede Bewegung war anstrengend, und ich war plötzlich so müde. Hätte ich mich gesetzt, wäre ich wohl auf der Stelle mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen. Frau Benimm schmierte Butter auf große, dicke Brotscheiben und bekrümelte sie mit Schnittlauch. »Ihr könnt hier schlafen, hier ist genug Platz. Das Auto ist doch keine gute Idee«, sagte sie, während sie werkelte. Und ich fragte mich nur, wie ich jetzt etwas essen sollte, ich war allein von den Gerüchen satt geworden. Hinter zwei

Weitere Kostenlose Bücher