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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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Mein Blick wanderte durch den Raum. Der dicke Mann war auf der Eckbank eingeschlafen und schnarchte. An der Wand direkt neben uns hing eine an den Rändern gezackte Postkarte mit dem Bild eines Bootes, das auf dem Trockenen stand. Es lag jedoch nicht in einer Werft, sondern schien für immer aus seiner Wanne gehoben worden zu sein. Holzstiegen hielten seinen Rumpf, und eine klapprige Treppe führte zu einem Eingang im Bauch des Schiffes. Lene hob den Kopf und löste die Karte vorsichtig aus dem Holzrahmen, in dessen Rand sie gesteckt worden war. »Wieso stellt man ein Boot aufs Land?«, fragte sie. Die Wirtin winkte uns zu sich. Anscheinend gab es einen Plan. »Gleich kommt Wolfgang, der fährt euch hinterher, der kennt sich aus.« Dann ging sie an uns vorbei und räumte unseren Tisch ab. Lene sah mich an, ihre Hand drückte meine so fest, dass es fast weh tat, also zog ich sie weg.
    Als ich zahlen wollte, merkte ich, dass die Postkarte mit dem Boot in meiner Hosentasche steckte. So unauffällig wie möglich faltete ich sie zusammen und stopfte sie noch tiefer hinein. Der Himmel zog sich langsam zu, der Wind drückte uns warm ins Gesicht, als wir wieder vor der Gaststätte standen. Das Licht hatte sich verändert, und es war, als würde jemand in einem Topf dampfender Suppe rühren, allesvermengend, als setzte uns jemand Kopfhörer auf, spielte aber keine Musik dazu ab. Irgendwie hätte es mich beruhigt, weniger von der Ferne zu sehen, und die Wolken am Himmel waren ein Anfang, eine Beschränkung des Blickfeldes. Fast fühlte es sich an, als würde ich einschlafen, ganz langsam und Stück für Stück mit der leiser werdenden Restwelt im Hintergrund, mit einem Fuß schon im Traum, mit dem anderen noch ein paar Zentimeter in der realen Welt. Dabei schaute ich mit offenen Augen in die Äste des Baumes neben dem Haus, die hin und her wogten wie grüne Wellen in einem Meer ohne Wasser.

    Vielleicht fühlte es sich für Friedrich so an, wenn er früher aufwachte als ich, wenn die Zukunft des Tages noch fernab lag. Das passierte nicht oft, aber manchmal. Wenn er schlief, lag er regungslos wie eine Puppe oder ein Stofftier. Und hätte er nicht immer wieder Geräusche gemacht im Schlaf, hätte man meinen können, er sei wie das Bett nur ein Möbelstück oder Teil der Bettwäsche, denn wenn er schlief, ging kein Leben von ihm aus, kein Gefühl, keine Nähe oder Wärme. Er rührte sich nicht mehr, sobald er im Bett lag, auch wenn draußen ein Krankenwagen mit ohrenbetäubendem Lärm vorbeifuhr und die Altbaufenster es nicht schafften, uns abzuschirmen. Die Autofahrer konnten hupen bis zur totalen Hysterie, Friedrich bemerkte es nicht. Ich konnte ihm ins Gesicht niesen im Winter, und sein Porzellangesicht blieb unbewegt. Ich konnte mit ihm reden, seine Haare zu Locken drehen, ich konnte aufstehen und ins Bad gehen,mir die Haare fönen im Flur mit offen gelassener Tür, er wachte nicht auf. An manchen Tagen hatte er die Augen schon einen Spalt weit geöffnet, sodass man meinen konnte, er sähe einen an. Aber er sah mich nie, er schlief noch. Und wenn er dann doch einmal früher aufwachte als ich, warf er sich herum, unabsichtlich, aber dennoch auf sich aufmerksam machend. Sein Körper wurde immer erst nach seinem Kopf wach, er knackte dann mit den Fingern, wackelte mit den Zehen, beugte die Knie ein wenig und streckte die Arme durch. In meinem Halbschlaf merkte ich das immer, ich fiel nicht ins Koma neben ihm, mein Schlaf war eher von der leichten Sorte, ein Wabern, das von den äußeren Einflüssen mitbestimmt wird. Es konnte vorkommen, dass Friedrich sich über mich beugte, um auf die Armbanduhr zu schauen, die auf dem Nachttisch lag, manchmal nahm er sich in der Rückwärtsbewegung noch ein Buch mit und begann zu lesen, meistens jedoch lag er einfach so herum und guckte mich an. Und auch wenn ich nicht blinzelte, um mich zu vergewissern, spürte ich seinen Blick. An Einschlafen war nicht mehr zu denken. Ich konnte nicht schlafen, wenn mich jemand dabei beobachtete. Auch nicht Friedrich. Oder eher: schon gar nicht Friedrich. Er zuppelte an der Decke und seufzte ab und an, aber er stand nicht auf. Er machte kein Frühstück. Er putzte sich nicht die Zähne. Er begann den Tag nicht allein. Er blieb einfach liegen. So lange, bis ich offiziell aufwachte, meine Augen öffnete und lauthals bemerkte, wie spät es schon sei, dass ich Hunger hätte und mein Bauch begleitend so laut knurrte, dass auch Friedrich es hören konnte. Er

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