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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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riesigen Holzlöffeln entdeckte ich ein Farbfoto, die Ränder waren schon ein bisschen angelaufen, lachende Kinder, beide mit blauen Mützen, die Zähne noch kleiner als der Nagel meines fünften Fingers. »Ich koche viel, wisst ihr?«, murmelte Frau Benimm, und Lene lächelte und zog fragend die Augenbrauen nach oben. »Meistens nur für mich, aber dann esse ich eben für zwei oder drei.« Sie lachte, stellte die Brote ab, steckte sich ein kleines Stück Möhre in den breiten Mund und goss uns Wein in dickwandige Gläser. Wir setzten uns auf die kleine Treppe vor dem Haus, Lene eine Stufe tiefer. Die Gläser stellte Frau Benimm neben Lene ab und ließ sich neben mir nieder, laut ausatmend. Und dann war alles still, nur Grillen zirpten, ein Vogel gurrte in der Ferne, hin und wieder raschelte es im Gebüsch vor uns. Mücken umkreisten uns in Schwärmen, ich hörte uns kauen. Ein leisesMalmen, sonst nichts. Mein Telefon vibrierte in der Tasche, die hinter uns im Flur stand. Als eine Mücke auf Lenes Arm landete, hielt Lene still. Sie zuckte leicht, als der Stachel in ihre Haut drang. Dann näherte sich ihre Hand langsam der Stelle, wo die Mücke saß. Die Finger zogen das kleine Fleckchen Haut behutsam auseinander. Die Mücke saugte und saugte und zerplatzte dann ohne ein Geräusch in kleine dunkle Sprenkel auf dem Arm.
10
    Unser Zimmer war unter dem Dach. Zwei kurze blaue Betten, zwei hellblaue Schränke, alles war winzig in diesem Zimmer. Wie eine Zwergenstube. Auch die Nachttischlampen waren blau, taubenblau. Es roch nach Mottenkugeln. Lene setzte sich langsam auf eines der Betten, es knarzte. Mit der Hand strich sie über die wollene Überdecke. »Hier hat lange niemand geschlafen«, sagte sie. Meine Tasche lag noch im Flur, und ich stieg im Dunkeln die steile Treppe langsam nach unten, dem schwachen Licht entgegen. Ich mochte das Gefühl, das der Teppich auf den Stufen unter meinen Strümpfen machte, es kratzte ein bisschen, als klebe man fest, aber man machte kein Geräusch, keinen Laut. Aus der Küche kam ein Flüstern, ein leises Schluchzen. Ich hielt inne, dann schulterte ich die Tasche und schlich die Treppen wieder hinauf. Lene hatte sich währenddessen ins Bettgelegt, ohne die Klamotten auszuziehen, über ihr lag nur die Wolldecke, ihre Augen waren schon geschlossen. Das Kopfkissen hielt sie im Arm. Ich wusste nicht, ob sie schon schlief, versuchte aber, kein Geräusch zu machen, kroch in Unterhose und T-Shirt unter die kalte Bettdecke. Auch bei geschlossenem Fenster hörte man das Zirpen, als säßen die Grillen auf dem Nachttisch.
    In der Nacht vibrierte mein Telefon mehrmals in der Tasche. Ich wachte davon auf, ging aber nicht ran. Lene atmete ruhig, ich blieb liegen, wartete, bis es hell wurde, und versuchte auszuhalten, wie meine Hand unter meinem Kopf einschlief ohne mich. Dann musste ich doch noch einmal eingeschlafen sein, denn für eine halbe Sekunde nach dem Aufwachen dachte ich, alles sei wie immer.

    Das war einer dieser Momente, in denen man sich sammeln kann, die Dinge einordnen und die Lage checken. Man fühlt die Bettdecke, die einzelnen Bestandteile des Körpers. In dieser Sekunde kann man alles sein und überall. In einem fremden Leben und einem fremden Land, in einem anderen Bett oder Zuhause. Kurz nach dem Aufwachen gibt es noch keine Verankerung, niemand hat in dieser Sekunde Erklärungen für den Lichtschein auf dem Laken, das Muster der Tapete, es ist einfach alles an seinem Platz und hat dennoch nichts mit einem selbst zu tun. Dann kommt man Schritt für Schritt zurück in sein Leben oder das, was man dafür hält, steht wieder mit beiden Beinen auf irgendeinem Boden und weiß, wer man ist und wo, wer neben einem liegt und wer nicht.
    Im Zimmer war es warm und stickig. Fliegen tanzten vor dem Fenster in der Sonne, mein Nacken war aus Beton, und ich hatte das Gefühl von Kopfschmerzen
     wie nach zuviel Eis auf einmal. Ich hörte mich seufzen, tief ein- und ausatmen. Am liebsten hätte ich mich sofort auf ein Fahrrad gesetzt und wäre zum
     Bäcker gefahren. Zu der Bäckerei an der Ecke der Blauen Straße, wo jedes zweite Haus blau ist und sie da stehen wie ein riesiger Gartenzaun, erst ein
     helles, dann ein blaues, dann wieder ein helleres. Das war schon so, als ich noch ein Kind war. Ich wollte dorthin und mein Fahrrad in die kleine Ausfahrt
     neben der Eingangstür stellen, ich hatte Lust auf einen Blick in die Zeitung ohne einen Blick auf die Uhr, ich wollte ein bisschen Zeit ohne

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