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Und immer wieder Liebe Roman

Titel: Und immer wieder Liebe Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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August 2003
Gasthaus zur Lust und zur Liebe
     
    Lieber Federico,
    heute ist der letzte Öffnungstag von Lust&Liebe vor meiner Abreise. Dieser August ist merkwürdig. Es ist acht Uhr morgens (bei dieser Hitze wache ich um sechs auf und bin schon um sieben im Laden). Ich habe mir im Lokal einen Cappuccino gemacht und trinke ihn in kleinen Schlucken, solange hier noch keine Menschenschlangen nach frisch gepressten Säften und ofenwarmen Backwaren verlangen. Manuele ist unendlich stolz, dass das Gasthaus so gut angenommen wird. Er arbeitet jetzt nicht mehr in der Schule, sondern ist Vollzeit im Geschäft und geht uns mit seinen immer neuen Vermarktungsstrategien für Kaffeespezialitäten furchtbar auf die Nerven. Außerdem beharrt er darauf, dass man das Angebot unter allen Umständen vergrößern muss – mit dem Ergebnis, dass man jetzt zwischen Caffè espresso, lungo, ristretto, corretto, Kaffee mit Sirup, Kaffee geeist, klassischem oder neapolitanischem Mokka, American Coffee und Latte Macchiato wählen kann. Meine beiden Gurus sind noch nicht gekommen, und ich schreibe Dir, weil auch ich glücklich bin, so wie Du in Deinem Brief von der Baustelle. Und ich muss es Dir einfach erzählen: Ich habe ein Stück Möhrentorte gegessen und in einer Zeitschrift geblättert, als ein ungewohntes Geräusch meinen ganzen Tag verändert hat. Ein Tschilpen, tschiep-tschiep. Ich schwöre es, Federico. Der Gast ist mit seiner ganzen Familie hier hereingeflattert und betrachtet mich jetzt, während ich Dir schreibe. Seine Federn sind braun gesprenkelt, die Augen blank wie Murmeln, und er scheint nicht die geringste Angst zu haben. Das Spätzchen hüpft auf meinen verklebten Handteller und frühstückt, meine Krümelchen sind für ihn eine ganze Mahlzeit. Merkwürdig, dieser Mailänder August, die Leute fahren in den Urlaub, und die Tiere
erobern die Stadt wieder. In Sant’Antonio hat gestern Abend eine Dame im Blümchenkleid und Weidenkorb Fischkarkassen und Nudelreste mit Soße an die Katzen verteilt. Das ist zwar nicht ganz mit den Eichhörnchen im Central Park zu vergleichen, aber ein wenig geht es doch in die Richtung.
    Ein Sommerkuss von Deiner Emma, die in den Urlaub fährt.
     
    P.S. Gib acht auf Dich – ein schöner Ausdruck, den man viel zu selten benutzt, findest Du nicht?
     
     
    New York, den 8. August 2003
225 Madison Avenue
     
    Liebe Emma,
    heute bin ich vor der Baustelle einem Alten über den Weg gelaufen. Er stank nach Bier und trug einen Anzug aus Winterstoff. Der Mann hat mich angesprochen und vollkommen unaufdringlich und freundlich gefragt: »What’s happening there?« Ich hatte den Eindruck, dass er auf mich gewartet hatte, was natürlich nicht möglich ist, aber ich habe zwei Kaffees geholt, ihm einen gegeben und mich mit ihm vor die Brownstone-Villa gesetzt. Die fünfundvierzig Zimmer, zwölf Bäder, zweiundzwanzig Kamine und der Ballsaal der Morgans, wo die Buchhandlung untergebracht wird, müssen Federn lassen. Das ist Franks Reich. Und Morgans und Renzos Reich. Von hier geht man hinein, drinnen wird dann ein Café sein. Ich habe ihm erklärt, what’s happening here. Er strahlte und war ganz begeistert – zumindest sah er so aus. Vielleicht fühlte er sich auch nur alleine und wollte mit jemandem reden. In Wahrheit war ich es, der sich alleine fühlte, und er hat mir Gesellschaft geleistet. Jetzt wäre ich bereit, mit meinem Vater zu reden, von Mann zu Mann, wie man so schön
sagt. Es gibt so vieles, was ich ihn gerne fragen würde. Bei unseren Kindern ist das ganz anders. Wir haben sie dazu erzogen, uns zu vertrauen in einer Gesellschaft, in der »ich« das häufigste Wort ist, während Du mich dazu zwingst, »wir« zu denken. Na ja, habe ich mir gesagt: Obwohl der Kaffee scheußlich war (»traurige Brühe« würde Dein Manuele ihn vermutlich schimpfen), hat mir das Gespräch mit dem Alten gezeigt, dass ich noch etwas zu verstehen und zu erzählen habe. Der Unbekannte hieß Steve,war sein Leben lang Chauffeur, ist jetzt Witwer, hat keine Kinder und lebt in Brooklyn. Er macht aber gerne Spaziergänge hierher; sein Geist ist wach und rege, und er scheint das Leben zu genießen. Ich bin nicht der Typ, der Fremden gegenüber aufgeschlossen ist, aber meine Freundlichkeit hat mir selbst gefallen. Ich kam mir nicht einmal lächerlich vor, wie ich mit Steve auf den Stufen vor der Brownstone-Villa saß. Dein Einfluss (oder vielmehr Deine Nonchalance) macht sich auch in meinen spontanen Umgangsformen

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