Und immer wieder Liebe Roman
ist die fantastischste, schönste und klügste Frau in ganz Mailand.« Er sagt es, ohne rot zu werden, und erntet johlenden Applaus. Das Publikum ist von der Literatur enthemmt. Ich fühle mich aus diesem fertigen Drehbuch ausgeschlossen, und das Unbehagen will einfach nicht verschwinden. Feuchte Pappe legt sich wie ein enges elastisches Band über meine Brust.
»Und was haltet ihr von Liebe in Zeiten der Cholera von Márquez? Sie haben sich als Kinder geliebt, und er wartet, bis er sechzig ist«, mischt sich eine junge Frau ein, die um die zwanzig sein dürfte und sofort Mattias Interesse erregt. Er war gerade dabei, Saft auszupressen, konzentriert sich jetzt aber nur noch auf sie.
Carlotta nimmt die Bestellungen auf und lässt ihn nicht aus dem Auge.
»Meiner Meinung nach ist Doktor Schiwago nicht zu überbieten«, sagt Marta. »Was hab ich geheult! Ich konnte gar nicht mehr aufhören.«
»Ich habe auch die ganze Zeit geheult, als ich das Buch gelesen habe«, fügt eine andere hinzu.
Das wirkt auf mich wie abgesprochen. Vielleicht ist ja auch alles Cecilias kleine Inszenierung, denn sie beendet das Spielchen nun souverän lächelnd, erhebt ihre zwitschernde Stimme und hält ihr mit Anstreichungen übersätes Exemplar von Doktor Schiwago hoch.
»Jurij Schiwago und Lara begegnen sich in einer Bibliothek«, beginnt sie zu erzählen. »Die Bibliothekarin von Jurjatin ist eine freundliche, dunkelhaarige, äußerst schüchterne Frau. In der Bibliothek herrscht angespannte Stille...«
So geht das den ganzen Abend. Die anderen lesen, und ich bediene die Kasse. Um sieben ist der Umsatz bereits beträchtlich: Satte 1148 Euro für Bücher, Nudelgerichte, Bitterorangenlimonade und Limonade »ä la Pereira«, eine Hommage an Tabucchi.
»Danke, Emma, das war eine wunderschöne Veranstaltung. Unvergesslich.« Genau das sagt Emily, an der Hand die Signora, die sich auf sie stützt wie auf einen Stock.
»Komm mich doch mal wieder besuchen«, entgegne ich lächelnd. »Mir fehlen unsere Gespräche. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Signora Oldrini. Ich gehe jetzt ins Sportstudio«, verkünde ich, aber niemand beachtet mich. Manuele widmet sich seinen Sandwiches und den Focaccine, die alle nach berühmten Schriftstellern benannt sind. Auf seiner schwarzen Baumwollschürze prangt das »Logo«, wie sie es nennen, vom Gasthaus zur Lust und zur Liebe, und ich fühle mich wie Elisabeth II. mit
dem königlichen Wappen. Draußen auf dem Platz wird gerade das Podest für den Tanz aufgebaut. Es geht weder vor noch zurück, man badet im Fluss, albert herum, flaniert ein Stück, wartet. Mein Yoga wartet auch, dringend.
Ich kehre gerade rechtzeitig an meinen Posten an der Kasse zurück, um mir die Reste der glücklichen Stunde einzuverleiben. Nun ist Gastons Moment gekommen – er hat sich für Casanova entschieden, und das obwohl er noch nie im Leben eine Frau geküsst hat. Mir ist unbegreiflich, wieso er alles glaubt, was man über den meistüberschätzten Abenteurer der Welt erzählt, aber er liest mit lebendiger Stimme.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Manuele Franca bedient, die Frau aus der Post. Am liebsten würde ich sofort verschwinden oder noch besser: mich unsichtbar machen. Was, wenn es ihr in den Sinn kommt, mich wie üblich »die Buchhändlerin von Fach 1004« zu nennen? Zu spät – sie hat mich entdeckt. An Flucht ist jetzt nicht mehr zu denken.
»Sie sind auch hier? Was für eine Freude, Sie zu sehen«, lüge ich und gehe lächelnd auf sie zu.
»Ich komme frisch aus den Flitterwochen, Signora Emma. Ich wollte mich ein wenig in der Stadt umsehen... Ah, das ist übrigens Guglielmo«, sagt sie und präsentiert ihre Beute stolz wie ein Jäger. Der frisch gebackene Ehemann hat einen so glänzenden Schädel, dass man sich darin spiegeln könnte. Wie ein Mechaniker oder Tankwart – ich hab’s vergessen -sieht er jedenfalls nicht aus, finde ich.
»Schön, dass Sie hier sind, Franca. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Guglielmo. Schauen Sie sich ruhig in der Buchhandlung um, und falls Sie etwas zu sich nehmen wollen, gibt es auch noch das Gasthaus...«
Unwillkürlich sehe ich mich um und merke, dass die Stunde
der Dreißigjährigen angebrochen ist. Sogar die Leute aus der Werbeagentur sind gekommen. Da vorne, am einzigen Tisch mit Schachbrettmuster – sitzt da nicht Fabrizio Lucchini? Und weshalb zieht er solch ein Gesicht? Nun erhebt er sich (in Jeans ohne Bügelfalte) und geht in Richtung Bühne. Ich
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