Und immer wieder Liebe Roman
ist Abend. Gerade hat der Maler Feierabend gemacht, und ich habe endlich Ruhe, um Dir zu schreiben. Jetzt habe ich meine eigene Baustelle, überall ist Staub, Du weißt, was ich meine. Natürlich kann ich nicht mit Dir konkurrieren, ich baue kein Museum, und nostalgische Reminiszenzen interessieren mich nicht. Wir werden drei Zimmer haben, jedes mit einem eigenen Eingang, einem Namen, den wir noch finden müssen (Buchtitel?), einem Bad und einem kleinen Flur. Jedes Zimmer wird mit schönen alten Möbeln ausgestattet werden. Auf dem Antiquitätenmarkt am Naviglio Grande habe ich Türklinken, Knäufe und Lichtschalter aus Porzellan aufgestöbert, außerdem habe ich – o Horror! – eine neue, praktisch kabellose Internetverbindung einrichten lassen (wie heißt das bei den jungen Leuten? Wireless LAN?), damit meine Gäste mit ihren Notebooks ins Netz gehen können. In meiner wurmstichigen Fantasie hat ein Schriftsteller, der auf Durchreise in Mailand ist, ganz bestimmt keine Lust auf E-Mail-Verkehr, aber wenn doch? Den Anschluss haben wir jedenfalls, soll doch jeder nach seiner Façon selig werden. Mattia führt sich auf, als wäre er ein Oscar Niemeyer oder ein... Federico Virgili, und glaubt, er könne mich mit seiner Fachsimpelei beeindrucken. Ich habe die Presseleute der wichtigsten italienischen Verlage eingeladen (praktisch alles Frauen), habe ihnen im Lokal einen Snack serviert und ihnen
dann das Hotel gezeigt (die Buchhandlung kannten sie schon). Sie waren überwältigt. Ü-B-E-R-W-Ä-L-T-I-G-T von der Idee, ihre Schriftsteller demnächst im Hotel Lust&Liebe unterbringen zu können. Ich habe sie gebeten, mir die Bedürfnisse, Gewohnheiten und Manien der jeweiligen Autoren mitzuteilen, damit ich sie zu gegebener Zeit würdig empfangen kann. Im Hotel erhalten sie ihr Abendessen, frühstücken werden sie im Lokal. Die Rechnung bezahlt der Verlag, was es mir erlaubt, nicht allzu knauserig zu sein: Ich werde mich also immer nach ihren Lieblingsspeisen erkundigen und nach den Büchern, die sie gerne auf dem Nachttisch liegen hätten (zusätzlich zu den selbst geschriebenen). Die erste Vorbestellung habe ich schon: fünf Nächte à 165 Euro. Ein berühmter englischer Schriftsteller, der an der Uni ein »reading« veranstalten und eine Reihe von Interviews geben wird. An die Morgan Library reicht das nicht heran, aber ich werde es mit Schriftstellern aus Fleisch und Blut zu tun haben, nicht mit Leichen wie Ihr. Bis zum 10. April ist es nicht mehr lange hin, und ich schreibe Dir diese Zeilen auf, die ich beim Aufräumen wiedergefunden habe.
April ist der übelste Monat von allen, treibt
Flieder aus der toten Erde, mischt
Erinnerung mit Lust, schreckt
Spröde Wurzel auf mit Frühlingsregen.
( Das öde Land von T. S. Eliot)
Die Hotelbesitzerin Deines Vertrauens,
Emma
P.S. Ich kann es kaum erwarten. Du weißt schon, was.
New York, den 15. Februar 2004
42 W 10 th St
Liebe Emma,
heute hat der Chef Yourcenar zitiert (ein weiterer Zufall, der mich davon überzeugt hat, dass ich endlich einen ihrer Romane kaufen – und vor allem lesen – sollte. Um mich für die Unwissenheit des literarischen Spätzünders zu bestrafen, zwinge ich mich sogar, es auf Englisch zu lesen): »Es ist die Dunkelheit, der du ins Auge schauen musst, ungehorsam, optimistisch und abenteuerlustig«, hat er gesagt. In diesem Moment habe ich mich ihm so nahe gefühlt, dass ich kurz dachte, ihm von Dir erzählen zu können, aber ich habe mich schließlich doch beherrscht. Niemals könnte ich unsere Beziehung, und sei sie auch noch so tiefgreifend, in Freundschaft umwandeln. Ich kann ihm nicht von gleich zu gleich begegnen. Er ist der Meister, und meine Verehrung für ihn ist ein Hindernis für jede Art von Vertraulichkeit. Ich verlege mich darauf, Dir sofort von dieser Wahlverwandtschaft zwischen ihm und Dir zu berichten, auch wenn Ihr Euch nicht kennt.
Ein Kuss auf die Schulter, ins Gesicht, auf den Mund. Wohin auch immer Du begehrst.
Federico
Die Kerzen mit dem Logo von Lust&Liebe sind gekommen! Die Schachtel ist quadratisch, und auf blauem Grund prangt der Name meiner Buchhandlung. Sie verströmen den Geruch von Papier und Tinte, ein Bouquet von Haushaltsklebstoff und Mastixkleber. Inspirationen und Erinnerungen, ein olfaktorischer Moment im Angedenken an Proust und ein Schlag ins Gesicht unserer Zeit, in der die Dinge ihren Eigengeruch verloren haben. Die Kerzen ermöglichen eine Art Geruchsverkostung von Romanen
und
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