Und immer wieder Liebe Roman
Sätze dolmetsche. Am Ende ist er es, der dafür sorgt, dass ich mich wieder wohlfühle, als ich jetzt vorsichtig frage, ob jemand im Publikum noch eine Frage hat.
Tschechow bringe ich dann doch nicht ins Spiel, und er tut es auch nicht. Das Gasthaus ist brechend voll mit jungen Leuten, die vielleicht über Fußball oder Prioritätenlisten sprechen wollen,
etwas, das ich gut verstehe, Mister Hornby, denn auch ich mag Listen. Um die Schriftsteller nicht in Verlegenheit zu bringen, habe ich ein Zettelsystem entwickelt. Ich schreibe klassische Fragen auf- »Woher nehmen Sie Ihre Stoffe?«, »Woran arbeiten Sie zurzeit?«, »Wenn Sie Ihre eigenen Texte lesen, amüsieren Sie sich dann genauso wie wir?« – und verteile sie an die treuesten Kunden. Im peinlichen Moment der allgemeinen Atemlosigkeit (der immer eintritt, glaubt mir), heben sie dann die Hand und stellen ihre Zettelchenfrage.
Nick Hornby ist freundlich. Wegen seines Sohns kann er nicht lange von zu Hause wegbleiben, er ist nur zwei Tage in Italien und enttäuscht jetzt seine Fans ein wenig, weil er behauptet, dass er sich nicht amüsiert, wenn er seine eigenen Texte liest. Wenn er schreibt, denkt er an den Textaufbau oder sucht die passenden Worte für eine Situation, für ein Wortspiel, da ist er zu beschäf tigt, um zu lachen. »Schreiben ist ein Beruf«, erläutert er. »Ein harter Beruf. Und noch härter ist es, lustige Situationen zu erfinden, die das Komplizierte im Leben eines Charakters herausstellen. Da lacht man besser nicht drüber. Mir gefallen lustige Romane auch gar nicht. Ich muss fast nie über so etwas lachen.«
Am Ende habe ich vierzig Exemplare seines jüngsten Romans verkauft, alle handsigniert. Zu meiner Überraschung schreibt Hornby in seine Bücher nicht die übliche Phrase »Mit den besten Wünschen von«, sondern findet für jeden Kunden das richtige Wort.
In mein Exemplar hat er geschrieben: »Für Emma, die Buchhändlerin der Liebe. Yours Nick.«
New York, den 27. November 2004
Ort des Friedens Nr. 12, Barnes&Noble
Astor Place
Liebe Emma ,
ich bin auf dem Heimweg und gönne mir einen Besuch bei der ältesten Barnes&Noble-Filiale der Stadt. Du kennst sie, wenn ich mich recht entsinne. Es heißt, dass sie bald geschlossen werden soll, weil die Miete zu hoch ist. Wie Du siehst, bist Du nicht die Einzige, die es mit einem Wirtschaftsmenschen zu tun hat, und selbst im superreichen Manhattan ist man so unverfroren, eine historische Stätte zu vernichten, nur weil der Umsatz nicht stimmt. Ich frage mich, ob den Eigentümern die Bedeutung dieses Orts bewusst ist. Wie viele Geschichten haben sich nicht zwischen diesen Mauern abgespielt? Du hast mich angesteckt. Das beginnt bei den Herzen, die ich ständig überall finde (die Sammlung ist um einen grauen Stein mit weißen Streifen angewachsen – ich habe ihn im Central Park gefunden, habe die Erde abgekratzt und benutze ihn nun als Briefbeschwerer), aber seit neuestem beobachte ich auch Paare, die mir über den Weg laufen, mit ganz neuen Augen. Die anthropologische Leidenschaft, mit der ich sie analysiere und ihnen Geschichten, Dramen, Versöhnungen und Trennungen zuschreibe, könnte ich allerdings niemandem als Dir eingestehen – weil du letztlich »schuld« daran bist. Du hast meine Sinne für die Liebe und für alles, was irgendwie mit menschlichen Beziehungen zu tun hat, geschärft.
Heute habe ich »verschärft« an Dich gedacht. Ich war in der Vierundvierzigsten und kam am Hotel Algonquin vorbei. Was soll ich sagen? Auf einmal warst Du mit mir dort, Emma, ich schwöre es, Du warst bei mir. Sie haben es renoviert – grauenhaft, würde ich sagen -, und der Tisch, an dem Deine geliebte Dorothy Parker immer gesessen hat, war nicht mehr da: »Es wurde
originalgetreu rekonstruiert«, sagte die Blondine an der Rezeption und drückte mir eine Karte mit der Karikatur von Al Hirschfeld in die Hand (ich lege sie bei). Das Hotel wurde rekonstruiert, nicht restauriert, herausgekommen ist eine idiotische Kopie, vor der selbst Frank erbleichen würde. Deine Schriftstellerin ist die Brünette mit den kurzen Haaren, zu ihrer Linken sitzt Robert Benchley und die ganze Truppe verlotterter Intellektueller, mit denen sie sich Tage, Abende und Nächte um die Ohren geschlagen hat. Natürlich habe ich nicht die geringste Ahnung, wer das alles ist, aber Du wirst alles über sie wissen. Und falls Du sie nicht kennst, wird die Karte Dein Interesse wecken.
Danke für Deinen Brief von
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