Und immer wieder Liebe Roman
essen. Uns muss die Sehnsucht nach Paris überfallen haben, denn es passiert selten, dass man sich in dieser Gegend trifft. Hier stehen die Tische so dicht wie im Quartier Latin, die Küche bietet raffinierte französische Gerichte an, und sie servieren – ein Hochgenuss! -warmes Baguette direkt aus dem Ofen der Balthazar Bakery. Ich bin ein wenig zu früh und werde Dich also auf den neuesten Stand der Arbeiten bringen können. Langsam beginnt man zu sehen, wie es einmal sein wird, jetzt, da der Rahmen steht.
Und dann das Licht! Ich wünschte, ich könnte Dir das Licht beschreiben. Die Lampen reagieren auf die natürlichen Lichtverhältnisse und bewahren sie. Auf der Piazza im Inneren wird es sein, als wäre man draußen. Man wird hochschauen und Manhattan sehen. Ich denke an die Transparenz, die größere Sicherheit verleiht als das Dunkel. Wir beide sind doch transparent füreinander, oder, Emma? Es wird Dir vielleicht komisch vorkommen – aber wenn Du mir schreibst, spüre ich Deine Angst heraus. Mir passiert das auch, dass ich über die Straße gehe und plötzlich von Panik befallen werde. Ohne jeden Grund fühle ich mich auf einmal
verloren... und schäme mich, darüber zu sprechen. Nicht einmal mit Enrico, der zwei Wochen mit seiner Familie da war, kann ich über so etwas reden. Wir können uns problemlos nackt in der Umkleidekabine gegenüberstehen, aber ihm etwas anzuvertrauen, kommt mir merkwürdig vor. Ich warte auf Renzo, und mein Cholesterinspiegel steigt wie Quecksilber: Ich habe mein Brot mit einer unvornehmen Menge pâté bestrichen und habe kein schlechtes Gewissen dabei, zumal ich weiß, dass ich Dir auch mit Bäuchlein gefalle.
Ich umarme Dich, bevor ich gleich Tartar bestelle und meinen Chef begrüße, der soeben eintritt,
Federico
Es ist bitter kalt. Die Lesung beginnt erst in einer halben Stunde, aber es warten schon mindestens fünfzig Personen in einer Schlange, die so ordentlich aufgereiht ist, als hätte man mit dem Lineal einen Strich gezogen. Mattia ist auch schon hier und freut sich auf den einzigen Schriftsteller der Welt, den er schätzt, was mit Fußball und Arsenal zu tun hat. Nick Hornby habe ich weder zufällig noch wegen seiner Liebesromane eingeladen. Ich habe vielmehr im »Believer« einen Artikel von ihm gelesen und eine gewisse Irritation verspürt. Sein Credo ist einzigartig: Schreibt Bücher, wenn ihr wollt, aber verreißt sie nicht. So macht man das. Es ist mir gelungen, ihn exklusiv zu bekommen und die übermächtige Konkurrenz von Feltrinelli, FNAC und Mondadori aus dem Feld zu schlagen. Hornby hat es nicht einmal gestört, dass wir eine etwas andere Buchhandlung sind. Da kommt er auch schon. Ich empfange ihn mit allen Ehren, wie es sich für einen außerordentlich begabten und dabei sympathischen Schriftsteller gebührt, aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Mister Hornby,
werde ich ihn fragen , warum diffamieren Sie in aller Öffentlichkeit Anton Pawlowitsch Tschechow und seine Frau? Mister Hornby, Sie haben sich in beleidigenden Worten überjenen ausgesprochen, der Ihrer eigenen Meinung zufolge ein Gigant der Literaturgeschichte ist, der sich aber zu einem Haufen von kitschigen Wendungen hinreißen ließ. Dabei wissen Sie doch selbst, dass wir in bestimmten Momenten alle ein bisschen töricht sind und zu verbalen Entgleisungen neigen, wie sie uns in anderen Situationen niemals unterlaufen würden.
Mein augenblicklicher Hochmut schwindet aber schnell, als ich die Begeisterung meiner Stammkunden sehe. Wie komme ich dazu, einen Schriftsteller auseinanderzunehmen?, frage ich mich. Für wen halte ich mich eigentlich?
Als Hornby mit seinem schönen, kahlen Schädel und den sanften ironischen Augen neben mir sitzt, schäme ich mich noch mehr. Es kommt mir sogar merkwürdig vor, dass er tatsächlich existiert, denn selbst wenn ich auf den Umschlagklappen ihre Gesichter sehe, kann ich mir nicht vorstellen, dass es die Schriftsteller auch wirklich gibt. Mattia steht bereit, um Bier zu zapfen, aber Nick bevorzugt eine Tasse Tee und ein Stück Möhrentorte. Er ist Familienvater, liebt Rockmusik und Fußball, was von meinen Interessen denkbar weit entfernt ist, aber er ist sympathisch und sehr herzlich zu den Gästen, die ihm wie einem Rockstar zujubeln. Bevor die Lesung beginnt, vertraut er mir noch leise an, dass er Buchhändler sehr gerne hat. Er ist galant und großzügig, und plötzlich verlässt mich all mein Mut. Ich stammele fast, als ich die ersten
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