Und immer wieder Liebe Roman
ich bin allein im Geschäft, und gerade ist ein Kunde gekommen. Später gehe ich dann zur Post, wo ich einen vorweihnachtlichen Brief vorzufinden hoffe.
Schreib mir trotzdem
Emma
P.S. Heute stellt sich Mattia der Liebe seiner »erweiterten« Familie, die eine Großmutter einschließt. Habe ich Dir je gesagt, dass ich eine großzügige und freundliche Schwiegermutter habe? Sie steht schon am Herd.
Harbour Island, Bahamas, den 20. Dezember 2001
Liebe Emma,
dies ist einer der wenigen ruhigen Momente meines Urlaubs, der gerade erst begonnen hat und mich doch schon langweilt. Sarah ist mit Anna und unseren Freunden am Strand. Wir haben ein großes Holzhaus gemietet, mit Veranda und direktem Zugang zum Meer. Ich habe eine Kleinigkeit gegessen und nehme unsere Korrespondenz wieder auf, trotz der Alligatoren, eines angebrochenen Fingers und der notorischen Faulheit, die mich in dieser für meinen Geschmack zu exotischen Oase befallen hat. Das hier ist kein Ort für Dich – genauso wenig wie für mich. Aber Sarah amüsiert sich, und das macht selbst die Barbecuepartys am Strand erträglich.
An dieser Stelle einen Kuss für dich. Ich hoffe, wenn ich das nächste Mal schreibe, ist die Stimmung etwas besser.
Federico
Januar, die Stadt ist ausgestorben. Ich gehe zur Post, aber es sind keine Briefe gekommen. Dafür hat mir Alice eine E-Mail ausgedruckt, die Mattia vor einer Woche aus Kalifornien geschickt hat:
mama nach 31 std angekomm. tot. sag papa bescheid.
Ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass er zu müde war, um sich etwas ausführlicher und artikulierter zu verbreiten, denn wenn wir nicht einundzwanzig Stunden danach miteinander telefoniert hätten, dann hätte uns ausgerechnet diese traurige Botschaft – gelesen mit einer Woche Verspätung und so der beste Beweis für die Unzuverlässigkeit des Mediums – einen ruhigen Schlaf bescheren sollen. Um mich zu trösten, widme ich das Schaufenster den literarischen Briefwechseln. Auf ihrem Regalbrett gibt es keine freie Stelle mehr, auch wenn die meisten Titel nicht mehr ganz frisch sind – ich bin in bester Gesellschaft und fühle mich gleich weniger dämlich.
»Der Mensch ist ein Tier, das Briefe schreibt«, behauptet Lewis Carroll. Alice denkt da anders.
»Heutzutage schreibt niemand mehr Briefe«, schreit sie aus dem Lager, wo sie für die Inventur Bücher sortiert. »Finde dich damit ab!«
»Sibilla Aleramo schrieb Briefe, die bis zu hundertfünfzig Seiten lang waren, der Briefwechsel von Voltaire besteht aus mehr als zwanzigtausend Seiten, und die Briefe von Proust füllen neunzehn Bände. Es gibt Beispiele ohne Ende, meine liebe Alice.«
»Heutzutage schreiben Verliebte bereits existierende Briefe ab, das geht schneller, meine liebe Emma. Oder sie chatten im Internet. Lies doch mal Norman X. und Monique Z.: Nachdem sie sich jahrelang feurige E-Mails geschrieben haben, treffen sie sich und schlafen miteinander, um ihre Liebe zu besiegeln. Offenbar gefallen sie sich also.«
»Und wenn es nicht funktioniert, nachdem man sich so lange geschrieben hat? Was passiert, wenn man großartige E-Mails ausgetauscht hat und dann beim ersten Treffen herausfindet, dass man sich nicht leiden kann? Es ist doch peinlich, zu jemandem zu sagen: ›Tut mir leid, die physische Anziehungskraft ist gleich
null, ich mag einfach nicht, wie Sie riechen‹, oder so. Das ist doch viel zu riskant.«
»Dann endet die Geschichte eben an diesem Punkt, oder sie schreiben sich weiter und vögeln einfach nicht mehr miteinander. Das ist doch keine Tragödie. Lass uns von etwas anderem sprechen, virtueller Sex ist mir eine Nummer zu groß. Warum machen wir nicht ein Fenster ›Reife Liebe‹? Wir packen die Aleramo dazu, die sich mit Jüngeren einlässt, und Colette... Uuh, die Buchhandlung quillt ja über vor alten Schabracken.«
»›Reife Liebe‹ ist ein grauenhaftes Wort. Was würdest du etwa zu der sechzigjährigen George Eliot sagen, in die sich ein wesentlich jüngerer und zudem auch noch reicher Mann verliebte?«
»Er wird schon seine Schönheitsfehler gehabt haben. Ich glaube nicht an diese ungleichen Geschichten. Das wäre, als würdest du dich mit einem Dreißigjährigen einlassen. Du würdest doch die ganze Zeit nur darüber nachdenken, wie lange eure Beziehung wohl dauern kann. Denk nur, was für ein Stress das wäre...«
»Was hat noch dieser Typ gesagt, der den Italienern im Fernsehen Italienisch beibringt: Es ist nie zu spät. Vergiss also die
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