Und immer wieder Liebe Roman
gerade gelandet«, »Komme jetzt nach Hause«, »Wie geht es dir?«. In einige Handymodelle, habe ich gehört, ist der Betrug sogar schon eingebaut: Flughafenhintergrundgeräusche (Kofferrollen, Lautsprecherdurchsagen und Hektik, so dass man leichter sagen kann: »Ich bin gerade gelandet« oder »Ich muss zum Check-in«), Supermarktgeräusche (»Kann ich dich zurückrufen, ich stehe gerade an der Kasse«), Wellenrauschen, Trillerpfeifen am Bahnhof, das Knistern der schlechten Verbindung (»Wir sind im Tunneellllkrks, ich versteh dich nicht«). Die Nachfrage nach Betrugsbeihilfen scheint groß zu sein, und dennoch: »Wo bist du?« Diese Frage stellen sie alle, sobald sich die Flugzeugmotoren wieder der Erde ergeben haben, wenn der Zug erschöpft in den Bahnhof schnauft, nach der Messe, an der Straßenbahnhaltestelle, während des Wartens auf die Kinder am Schulausgang, im Park, überall. Ehefrauen, Ehemänner, Geliebte, Freunde, Kinder. Wo bist du?
Ich hingegen reise inkognito. Niemand weiß, ob ich gelandet bin, ob ich pünktlich komme, ob ich einen Jetlag habe, ob ich vergleichsweise gut gelaunt bin. Niemand wird wissen, wann er die Pasta in den Topf werfen soll. Ich habe nur vage erklärt, dass ich nach Paris fahre. Eine kleine Erkundungstour durch die Buchläden,
Ideen sammeln, eine wunderbare Frühlingswoche lang Atem schöpfen. Alice schien durchaus froh, dass ich ihr ein paar Tage lang nicht im Weg herumstehen würde.
»Ich kümmere mich um alles, Emma, fahr du ruhig«, sagte sie, als sie mich mit ihrem neuen Smart (einem Geschenk ihrer Eltern zum Dreißigsten) nach Hause brachte. Ich glaube, ihr gefällt die Idee, sich bewähren zu müssen und für das Thema der nächsten Woche völlig freie Hand zu haben.
Das Konzert der klackenden Sicherheitsgurte ist das Präludium zum frenetischen Reaktivieren der während des Flugs ausgeschalteten Handys. Ein Flugpassagier säuselt ein schnelles »Ich liebe dich« ins Mikrofon und scheint sich mit der Luft zu unterhalten. Oder mit sich selbst zu reden. Auch mein Nachbar, der eine Stunde und fünfzehn Minuten lang die »Gazzetta dello Sport« gelesen hat, drückt auf eine Taste seines scheiblettenflachen Handys und lässt sein routiniertes Geleier los – eine gut einstudierte Choreographie, die aus den Sequenzen Gemütszustand (»Alles bestens, Schatz«), Abflugzeit, genaue Angabe der Verspätung (Quatsch, der Flug ist überpünktlich) und den Wetterverhältnissen besteht. Durch die runden Fensterchen erkennt man vier aspirinförmige Wolken in einem Ausschnitt vom Himmel, dem man überhaupt nicht ansehen kann, was für ein Wetter herrscht. Der Pilot muss etwas darüber gesagt haben, aber wenn er redet, hört niemand zu, und so bleibt die Temperatur bis zur Gangway ein Geheimnis. Mein Nachbar redet also einfach drauflos – wer sollte seine Informationen schon nachprüfen? Ich werfe ihm einen komplizenhaften Blick zu, aber er nimmt bereits seine Ellbogen zu Hilfe und verschafft sich Platz im Gang. Er hat es eilig, ich nicht. Heiter gehe ich zum Laufband, das mir meinen neuen Rollkoffer zurückbringen wird. Beschwingt von der Reise verspüre ich sogar für meinen Nachbarn vollstes Verständnis. Ich stelle ihn mir
als treuen Ehemann vor, als stolzen Vater dreier Kinder, mit denen er abwechselnd gesprochen hat, für jedes einen Satz. Mach Mama keinen Ärger, lern schön fleißig, schick deinem Papa ein Küsschen. In seiner linken Hand (derjenigen, die nicht das Handy hält) trägt er einen taubengrauen Aktenkoffer. Er dürfte also nicht allzu lange von zu Hause weg sein. Wahrscheinlich hat er eine Geliebte in Paris. Das ganze eifrige Gerede in sein Handy dürfte also vor allem mit seinem schlechten Gewissen zu tun haben. Mein Nachbar lügt.
Innerhalb von achtundzwanzig Minuten verfrachtet mich die RER an den Gare de Montparnasse, wo die Direktzüge in die Bretagne abfahren. Über meinem Kopf schwebt ein grau-blaues Papp-Paris: die Einrüstung für die Restaurierungsmaßnahmen, wie Informationstafeln mir freundlich verkünden. In wenigen Monaten wird er wieder wie neu sein, dieser Sarkophag aus Eisen, Marmor und mit Kinkerlitzchen vollgestopften Schaufenstern.
Ich habe eine halbe Stunde Zeit und laufe zwischen den Geschäften herum. Sie verkaufen Zeitungen, Zeitschriften, Souvenirs, vor allem aber Tangas mit Strings wie Zahnseide, Rokokoschlüpfer in bunter Lycra-Qualität, karierte Boxershorts oder solche mit einem Pinguin an der entscheidenden Stelle. Die Buchhandlung
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