Und immer wieder Liebe Roman
Ehemann seine Frau umbringt. Wenn Anna Karenina eine Heulsuse ist, was ist dann Ihrer Meinung nach Posdnyschew, Signor Frontini?«
»Carlo, sagen Sie einfach Carlo. Er bringt seine Frau um, eine Unschuldige. Wenn das kein Anzeichen für Frauenfeindlichkeit ist!«
Die Kategorie »Dreiecksverhältnisse« macht sich ausgezeichnet, merke ich, vielleicht weil der Sonntag für heimlich Liebende der traurigste Tag ist, ein bisschen wie der 25. Dezember, der 1. Januar und der Monat August. Ich verkaufe dreimal Anna Karenina, einmal Madame Bovary, zwei Exemplare von Bildnis einer Dame, eines von Dona Flor und ihre zwei Ehemänner.
»Von allen Ehebrecherinnen mag ich Isabel Archer am liebsten. Sie wahrt stets das Gleichgewicht zwischen Liebe machen und von der Liebe träumen, was letztlich aber auf dasselbe hinausläuft«, erklärt Signor Carlo. »Allerdings gehen die meisten Ehebruchgeschichten schlecht aus. Gegen eine solide bürgerliche Ehe kommen sie nicht an.«
»Da habe ich etwas für Sie: Eheliche Liebe von Alberto Moravia. Den Titel hat man kürzlich wieder aufgelegt.«
»Hab ich nicht gelesen, Emma, aber ich vertraue Ihnen. Ich nehme es.«
»Oh, Sie werden es mögen. Es ist die Geschichte von Silvio
und Leda. Er ist ein Intellektueller (aber nicht allzu sehr) und sie dumm (aber nicht allzu dumm). Er steckt in den Fängen seiner Unfähigkeit, Künstler zu sein. Und sie ist überaus sinnlich. Im Landhaus, in dem Silvio das Werk seines Lebens schreibt, verkehrt ein unanständiger Friseur, der die Dame des Hauses begehrt. Der Ehemann merkt es, tut aber, als wäre nichts. Er liebt seine Frau, und wenn man sich wirklich liebt, liebt man sich für das, was man ist.«
»Ein optimaler Hinweis für unser Regal ›Ehen‹«, mischt sich Alice jetzt ein. »Ich würde auch Liebe einer Tochter . von Guido Morselli dazustellen, eine ziemlich traurige Geschichte – seine eigene übrigens. Der Roman wurde posthum veröffentlicht, nach dem Selbstmord des Autors.« Bei dem Wort »Ehen« hatte ihr Gesicht zu leuchten begonnen. Ich gehe und lasse die beiden alleine weiterreden. Frontini gefällt auch Cecilia. Sie träumt von älteren Männern, die mit ihr vor dem Kamin eine Tasse Tee trinken, das Alpakaplaid auf den Knien wie im Film. Es würde mich nicht wundern, wenn ich sie alle zusammen zum Brunch gehen sehen würde. Brunch ist die neue fixe Idee meiner jungen Assistentin. Das Thema Essen habe ich vertagt; zu viele Neuigkeiten verwirren selbst einen kreativen Menschen wie mich. Alberto war auch schon da, Gabriella am Arm, die wiederum Mondo an der Leine hielt.
»Nur für eine Stunde, Emma. Wir wollen in die Ausstellung im Palazzo Reale, und er darf nicht rein.«
Mondo, der Bücher mehr mag als Bilder, zog sich unter den Kassentresen zurück und schnappte sich einen Taschenbuchkatalog, den er für einen Knochen hielt. Passt gut ins Geschäft, ein so großer Hund, denke ich. Er fügt sich, ist bescheiden und vor allem zufrieden. Tiere sind hier willkommen, und ich muss schreiben.
Mailand, den 12. Dezember 2001
Lust&Liebe
Lieber Federico,
zurzeit wird Mailand mit verstaubten Lichtdekorationen überzogen. Verglichen mit dem, was Du siehst, sind es nur armselige Lämpchen, aber das Tröstliche ist, dass alles wie immer ist: Kabelgewirr, Stromkästen an den Baumstämmen, Engelsköpfe, fliegende Cherubim mit einem Palmblatt in der Hand, Weihnachtsmänner, psychedelische Schäfchen. Die Äußerlichkeiten des Weihnachtsfests habe ich nie gemocht, und dieses Jahr wird Weihnachten noch weniger fröhlich sein als sonst: Mattia hat beschlossen, Urlaub in Kalifornien zu machen, bei Freunden, die dorthin gezogen sind.
Vor achtzehn Jahren und einem Tag war ich übrigens so dick, dass ich kaum noch gehen konnte, und ich war es leid, dieses süße Kleine wie ein Känguruh im Beutel mit mir herumzuschleppen. Vor achtzehn Jahren haben zweiundfünfzig Zentimeter mit dem Gewicht von drei Kilo und zweihundert Gramm mein Leben verändert. Jene Jahre lagern jetzt im Keller, ordentlich in Schachteln verpackt: blaue Nappaschühchen, monsterartige Plastikroboter, die ersten Aufsätze, Schulhefte, das Pferdchen mit den Rollen, Dutzende von Dinosauriern und Spielzeugautos. Und Du, wo warst Du, Federico, am 12 . Dezember vor achtzehn Jahren? In den grundlegenden Dingen, wie Du sie nennst, sind wir nachlässig gewesen. Ich weiß auch nicht, ob es gut ist, wenn wir uns von unserer Vergangenheit erzählen. Fürs Erste muss ich aufhören,
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