Und immer wieder Liebe Roman
reife Liebe, Alice. Wir würden die Gefühle vieler wohlgesinnter Kunden verletzen.«
Und auch die meinen, denke ich im Stillen. Aber das kann sie ja nicht wissen.
Mailand, den 15. Februar 2002
Lust&Liebe
Lieber Federico,
Rankings gefallen mir, aber Umfragen sind mir suspekt. Heute habe ich eine gelesen, von der ich Dir berichten muss. Bei der Beantwortung der Frage »Was ist das schönste Wort der italienischen
Sprache?« kam »amore« auf den ersten Platz, direkt vor »mamma«. Ich bin eine Mama und verkaufe Liebe – ich stehe also in Einklang mit den Statistiken, mein Gewissen ist rein.
Ein Kuss aus Mailand, in Eile
Emma
New York, den 4. März 2002
BBB, 41 E 11 th St
Liebe Emma,
heute werde ich Dir über Zufälle schreiben. Durch Zufall (oder durch die wohlwollende Weisung einer sensiblen Seele) sind wir uns am 10. April des vergangenen Jahres begegnet. Diese elf Monate mit ihren Briefen haben ein paar Stellen auf der, wie Du einmal gesagt hast, ramponierten Leinwand Deines Erinnerungsvermögens restauriert, und mir haben sie die Lust wiedergegeben, in Worten über mich zu reden und mich nicht nur in den üblichen autistischen Zeichnungen auszudrücken (Du weißt, wie dankbar ich Dir dafür bin). Der 10. April ist aber nicht nur irgendein Tag. An diesem Tag im Jahre 1912, einem Mittwoch, ist meinem Arbeitgeber etwas passiert, das radikalen Einfluss auf den Verlauf seines Lebens nahm. Aufgrund banaler Zwischenfälle (wie einige behaupten) oder wegen einer Dame, die ihn in Frankreich festhielt, ging Mister Morgan an jenem Tag nicht an Bord der Titanic, eines Dampfers seiner eigenen Schifffahrtsgesellschaft, der White Star Line. Das Ende der Geschichte kennst Du, und dementsprechend kannst Du Dir sicher vorstellen, mit welcher Erleichterung es J. P. M. vier Tage später aufgenommen haben musste, dass er mit den Füßen auf dem Festland oder in den Armen seiner Geliebten in Aix-les-Bains geblieben war. Unser Schicksal ist mit ihm verknüpft, und diese kleine, tröstliche Entdeckung hat
mich dazu ermuntert, mich mit einer Bitte vorzuwagen, die mich seit Wochen beschäftigt: Ich möchte Dich wiedersehen. Kannst Du Deine Buchhandlung für eine Weile allein lassen und Dich mit mir auf der Belle-Île treffen? Das ist eine zauberhafte Insel in der Bretagne, wo ich seit Jahren schon hin möchte? Am 2 . April fahre ich nach Paris und werde ein paar Tage im Büro arbeiten. Deine Antwort erwarte ich mit einer gewissen Nervosität. Wie sehr ich hoffe, dass wir ein paar Tage nur für uns allein haben... Schreib, sobald Du diesen Brief bekommst,
Federico
Mailand, den 14. März 2002
Lust&Liebe
Lieber Federico,
man kann die Geschichte, sowohl die Weltgeschichte als auch unsere eigene, tatsächlich neu schreiben, wenn man sie an Büchern festmacht. Wenn man es nur richtig anstellt, findet man die Spuren der Literatur in jeder Verabredung mit dem Schicksal. Was sagst Du zu meinem Beitrag zum Thema? Ein Exemplar von The Rubáiyát von Omar Khayyäm mit Illustrationen von Eliku Vedder, das 1911 in der Londoner Werkstatt Sangorski&Sutcliffe neu gebunden wurde (in einen kostbaren Ledereinband mit Rubinen, Smaragden, Topasen und Türkisen übrigens), wurde zu einer unvorstellbar hohen Summe von dem wohlhabenden Sammler Gabriel Wells gekauft. Das Kunstwerk wurde nach New York geschickt, aber in jenem unglückseligen April des Jahres 1912 versank es mitsamt des Tresors der Titanic im Meer. Jetzt ruht es in seinem Eichenfutteral am Grunde des Ozeans. Die Bücher und wir zwei. Die Bücher, Morgan und ein Datum, das sich zufällig unseres Lebens bemächtigt hat. In diesen elf Monaten warst Du
mein Ruhepol, mein Tagebuch, meine Insel. Sind unsere Schicksale miteinander verknüpft, oder schreiben wir uns nur, halten wir uns nur auf dem Laufenden, weil es tröstlich ist, jemanden zu haben, dem wir uns anvertrauen können? Ich weiß es noch nicht. Meine Antwort aber lautet: Ja, ich komme auf die Belle-Île, am nächsten 10. April. Ich habe mich informiert: Gustave Flaubert war dort, Colette, Jacques Prévert; Dumas hat den Tod seines Musketiers Portos dorthin verlegt, an die Pointe de L’Échelle.
Eine Insel und ein paar Tage nur für uns allein. Ich werde da sein.
Emma
10. April 2002
»Ça va?«
»Où es-tu?«
Auch zwischen den Sitzen der Boeing 737 gehört der erste Gedanke den Verwandten, die es in Echtzeit zu informieren gilt. In jeder Richtung vernimmt man das »Wo bist du«, »Bin
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