Und immer wieder Liebe Roman
Interesse an der perfekten Ordnung im Laden und an dem neuen Regal »Liebe in Kürze« – wo sie Erzählungen einsortiert hat – zeige. Du weißt, wie gern ich Alice habe, aber zurzeit vermeide ich nach Möglichkeit jede Diskussion. Ich konzentriere mich nämlich mit ganzer Kraft darauf, die Herrschaft über meine grundlegenden Fähigkeiten wiederzuerlangen. Deshalb habe ich das zweistündige Treffen mit Alberto, der mir die Abrechnungen zeigen wollte, auch fast erleichtert über mich ergehen lassen. Ich unterhalte mich mit Emily, habe Mattia bei Übersetzungen geholfen, bin zu allen seinen Lehrern in die Sprechstunde gegangen und habe mich für einen Pilates-Kurs angemeldet. Soll gut für den Rücken sein. In New York ist Pilates der letzte Schrei, habe ich gehört.
Übrigens lässt Dich Gabriella grüßen. Wir haben in ihr eine Verbündete.
Und zum Schluss muss ich Dich unbedingt etwas fragen, obwohl ich weiß, dass ich das eigentlich nicht tun sollte. Es ist auch nicht sehr stilvoll und außerdem eine Frauenfrage, aber ich stelle sie trotzdem: Wo wird das alles enden?
Ein Kuss von Deiner papierenen Insel
P.S. Die ersten Wochen sind die schlimmsten, wie bei den Windpocken. Der Juckreiz lässt nach ein paar Tagen nach. Vielleicht passiert uns das ja auch, was meinst du?
New York, den 15. Mai 2002
Mid Central Park, The Running Path
Liebe Emma,
um mich herum liegen verliebte Teenager auf dem Rasen des Central Park und küssen sich. Ich sitze unter einem blütenübersäten Apfelbaum und schreibe Dir. Gerade wird ein Hunde-Sitter von zwei Jagdhunden an mir vorbeigeschleift, ein paar Meter weiter trainieren ein paar Kinder Baseball (der Werfer ist klein, sein Blick listig und konzentriert), und jemand verkauft Erdbeeren in Körbchen. Wir würden uns mit unserem Körbchen rittlings auf das Mäuerchen setzen und sie aufessen. Wenn Du hier wärst. Ich versuche, Dir den Gemütszustand zu erklären, in dem ich seit Tagen ertrinke, ohne mich – Deine Bedingung – selbst zu bemitleiden: Seit ich meinen Fuß wieder auf New Yorker Boden gesetzt habe, spüre ich einen Riss zwischen meiner inneren Energie und meinem Körper. Ich habe ein »physisches« Empfinden von der Zeit, die vor mir liegt. Emma, Du bist der Ursprung und der Grund der verworrenen Gedanken, die meine rationale
geometrische Welt, meine Welt der Architektur, stören. Ich sitze im Gras und wünsche mir neue Erfahrungen. Wenn ich diese Kinder betrachte, habe ich das Gefühl, die Höchstzeit überschritten zu haben. Denkst Du, dass Cicero, wenn er mit einundfünfzig seiner Jugendfreundin wiederbegegnet wäre, sein Buch Über das Alter genauso geschrieben hätte? Irgendwie fühle ich mich nicht dazu in der Lage, Dir auf Deine Frage, die übrigens keine »Frauenfrage« ist und die ich mir auch schon gestellt habe, eine vernünftige Antwort zu geben. Ich habe sie nämlich immer wie ein Insekt verscheucht. Und das hat einen einfachen Grund. Seitdem ich nach Hause zurückgekehrt bin, weiß ich nicht mehr, wo ich stehe. Das Paradoxe an der Geschichte ist, dass ich mir nicht wie ein Verräter vorkomme, auch wenn ich ihr zum ersten Mal selbst aus dem Weg gehe.
Keine Sentimentalitäten, das habe ich versprochen. Du fehlst mir trotzdem.
Federico
P.S. Ich denk an Dich. In jeder Zeile.
Mailand, den 27. Mai 2002
Lust&Liebe
Lieber Federico,
ich habe neue Tinte mit Jasminöl gefunden, im Papierwarengeschäft am Corso Garibaldi. Riechst Du es? Außerdem habe ich für die Wahnsinnssumme von fünf Euro eine Ausgabe von Über das Alter erstanden, an einem Stand an der Piazza Missori, wo man nur gebrauchte Bücher kaufen kann. Jedes Mal, wenn ich an der Bude vorbeikomme, überfällt mich die Lust, den Verkäufer zu fragen, ob er sich so durchschlägt oder einen Riesenumsatz
macht, wie viele Bücher er am Tag verkauft, wer seine Kunden sind und ob er meine Buchhandlung kennt. Dann beherrsche ich mich aber immer, weil ich mir plötzlich reich und anmaßend vorkomme, denn immerhin habe ich ja ein richtiges Dach über dem Kopf. Ich habe hier und da ein paar Zeilen gelesen, habe mir ein paar Häppchen zu Gemüte geführt und mich schrecklich gelangweilt: Die Prosa ist mir zu gehoben, was sofort alte Erinnerungen an unverdaute Schulerlebnisse in mir wachruft und den Lesegenuss verdirbt. Pessimistisch fand ich Cicero nicht. Seine Aufforderung, das Alter zu gießen, als wäre es eine Pflanze, fand ich sogar lustig, auch wenn ich nicht weiß,
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