Und immer wieder Liebe Roman
alle meine Energie in die Raumgestaltung zu stecken. Die Wochenzeitschrift Panorama möchte Lust&Liebe einen Artikel widmen, und am Nachmittag wird ein Fotograf kommen, um ein paar Aufnahmen zu machen. Das Interviewthema: Das Aussterben kleiner Geschäfte. Für den Journalisten, der mich aus der Reserve locken will, muss ich eine Art Überlebende sein. Am Telefon war er sehr behutsam, und ich bin sicher, dass er glaubt, heute einer hinfälligen Alten gegenüberzutreten. Ich habe alles getan, um seiner mangelnden Fantasie auf die Sprünge zu helfen: graue Kaschmirjacke, roter Rock mit Popart-Applikation und dazu ein Collier aus schwarzem Lack.
Dass ich Buchhändlerin bin, bedeutet schließlich nicht, dass ich mich wie eine Buchhändlerin kleiden muss.
Von zu Hause habe ich zwei abgewetzte Koffer mitgebracht, die, glaube ich, meiner Großmutter gehört haben. Ich öffne sie. Auf dem löchrigen salbeigrünen Baumwollfutter ordne ich blütenförmig Bücher an – jedes Buch steht für ein Blütenblatt, das aus einem Haufen weißgeäderter Kiesel hervorsprießt. Die Kiesel wiederum hatte ich in Mattias Zimmer gefunden. Im Hintergrund fächere ich wie Spielkarten Schwarzweißfotografien auf. Ich habe sie auf einem antiquarischen Büchermarkt gekauft: lauter
alte, verblasste Urlaubsfotos. Daneben arrangiere ich meine Beute von einem Buchstand, die noch in Zellophan eingewickelt ist: Zelda und F. Scott Fitzgerald. Ein amerikanischer Traum von Kyra Stromberg, Friedrich Nietzsche und Cosima Wagner von Joachim Köhler, Marilyn Monroe und Arthur Miller von Christa Maerker. Es dauert keine halbe Stunde, und das Schaufenster prunkt vor Liebesreisen.
Federico würde es verstehen, der Rest der Welt nicht.
Mailand, den 5. Juli 2002
Via Londonio 8
Lieber Federico,
auch ich habe Informationen für Dich zusammengetragen, also hör zu: Es war heiß an jenem Tag im Jahr 1910, obwohl der Sommer bereits zu Ende ging und die Blätter der Rosskastanie der Villa Suardi schon ins Ocker changierten. Das Automobil fuhr langsam und holprig über die Schotterstraße, die vom nahen Bergamo ins Valle Cavallina führt. Trescore Balneario war der letzte Zufluchtsort ihrer Reise durch Italien, wo sie sich auf der Suche nach Schätzen und heimlicher Privatheit geliebt haben. Zwei Jahre zuvor hatten sie sich kennengelernt. Er, das ist Bernhard Berenson, fünfundvierzig Jahre alt, Exzentriker und galanter Kunstkritiker, verheiratet mit Mary. Sie, das ist Belle da Costa Greene, die Bibliothekarin. Bernhard schrieb über Kunst, Belle kaufte sie. Im Auftrag ihres Bosses, wie sie Morgan nannte, spürte sie Skulpturen, Bücher und Bilder auf. »Du musst unbedingt diese Fresken sehen«, hatte Bernhard mit der sanften Bestimmtheit desjenigen gesagt, der die Schätze der italienischen Kunst kennt. Und sie, die von der Malerei nie so berührt wurde wie von einem Manuskript, willigte ein. Vor allem deshalb, weil sie so beeindruckt war
von der Leidenschaft dieses Mannes für Lorenzo. Er sprach von ihm wie von einem Freund und nannte ihn beim Vornamen. »Ein Kritiker begreift den Künstler am besten, der ihm vom Temperament her ähnlich ist, meine Liebe«, erklärte er. »Wenn ich ein Künstler wäre, würde ich wie Lotto sein.« Vor der Holztür wartete Graf Gianforte Suardi, streng und imposant wie die Zeder, die ihnen den Weg versperrte, und stolz darauf, dass Berenson, der Entdecker und ausgewiesene Kenner von Lorenzo Lotto, der Privatkapelle seiner Familie einen solchen Respekt zollte. Sie war ein Ort des Gebets, der in seinen zwei Bankreihen schon Messen, Hochzeiten, Taufen und andere religiöse Zeremonien gesehen hatte und sich heute den »Fremden« aus der Neuen Welt öffnete. Rosen, Zypressen und Rosskastanien standen vor dem Paar Spalier. Schwaches Licht drang durch die Fenster ins Innere der Kapelle und legte einen geheimnisvollen Schleier über diesen Besuch. Belle machte Scherze und spottete über den Ernst, mit dem Bernhard sie an der Hand zu seinem hochverehrten Maler führte. Angesichts der Farben und der Modernität dieser kleinen Figuren, die 1524 in Freskotechnik gemalt worden waren, begann ihr Gesicht aber plötzlich zu leuchten.
Dieser Kapellenbesuch war die letzte Etappe einer Liebesreise eines heimlichen Paars am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, gesegnet vom Blick des Grafen Gianforte und vom unsterblichen Können des pictor celeberrimus.
Sind sie nicht anbetungswürdig, die beiden?
Emma
P.S. Berenson hatte viele
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