Und immer wieder Liebe Roman
Library und der Morgan Library, und es ist wie eine richtige Bibliothek eingerichtet. Zwölf Stockwerke, die, nach Genres sortiert, Büchern gewidmet sind. Ich habe mich dort als Architekt der Morgan Library vorgestellt (tatsächlich) und sie davon überzeugt, mir eine Führung zu gewähren. Vorbei an den mit alten und neuen Büchern vollgestopften Massivholzregalen ging es in den »Garten der Poesie«, in den »Reader’s Room« und schließlich auf eine herrliche Terrasse. Außen an den Zimmern (wo ich in unserem Fall das klassische DO-NOT-DISTURB-Schild hinhängen würde) baumelt hier etwas prosaisch ein LET ME READ – Bitte nicht stören, ich lese. Du würdest die romantische Literatur bevorzugen, ich den Fantasy-Flügel. Und ich muss Dich gleich vorwarnen, dass im »Dramatic Room«, der Dir gefallen würde, ein Einzelbett steht, während der Technology Room, den Du keines
Blickes würdigen würdest, mit einem superbequemen King-Size-Doppelbett ausgestattet ist (ich für meinen Teil finde ja, dass das doch eine Überlegung wert wäre). Seltsam ist die Nummerierung der Zimmer. Man hat mir erklärt, dass man sich nach dem Dewey-System richte, einem der berühmtesten Systeme für die Katalogisierung von Büchern.
Heute Nachmittag muss ich zu dem Empfang, mit dem wir eine öffentliche Ausstellung über unser Projekt eröffnen. Sie wird bis Ende Mai zu sehen sein. Der Chef wirkte heiter. Er ist eine der wenigen Personen auf der Welt, bei denen ich mich aufgehoben fühle, auch wenn ich Mist baue. Mit Dir geht es mir genauso. Deine Existenz in weiter Ferne (die so fern gar nicht ist) verleiht mir Sicherheit. Seltsam, dass mich diese seltene Empfindung auf dem Postweg zu erreichen vermag, aber so ist es eben. Jedes Mal, wenn ich zum Post Office gehe und einen blauen Umschlag vorfinde, fühle ich mich sicher. Es rührt mich zu wissen, dass es jemanden gibt, der auf mich wartet – genauso wie ich auf ihn. Es ist kindisch, ich weiß, aber vor Dir schäme ich mich nicht einmal für diese Empfindung. Es gibt keine Schatten, es gibt nur Geschichten, die wir uns nicht erzählt haben, weil wir keine Zeit oder keine Lust dazu hatten. Oft denke ich, es ist Blödsinn, eine dämliche Schutzmaßnahme, dass wir nicht miteinander telefonieren. Ich müsste nur auf einen Knopf drücken (Du bist im Speicher, weißt Du das?) und würde Deine Stimme hören. Wir könnten uns erzählen, was wir gerade machen. Ich rufe aber nicht an, keine Sorge __ unser Pakt ist besiegelt. Auf ihrem Weg durch die Leitung würden die Stimmen die Distanz nur vergrößern. Die Worte, die Du schreibst, tun das nicht, sie haben Gewicht, sie bleiben bei mir. Immer.
Dein Federico
P.S. Heute ist der 12. Oktober. Kann man einer Buchhandlung herzliche Glückwünsche aussprechen?
Wenn eine Liebe zu Ende geht, gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Manche stürzen sich auf tröstliche Romane, andere bevorzugen aber auch Horrorgeschichten, Krimis, Fantasy-Romane oder blutrünstige Thriller. Camillo gehört zur ersten Kategorie. Er kommt hektisch in die Buchhandlung gestürzt und fragt: »Wo sind die ›Gebrochenen Herzen‹ hin?« Drei Kunden, die in der Kaffee-Ecke sitzen, lehnen sich über das Geländer und sind sichtlich besorgt über den Schmerzensschrei dieses Mannes in Kamelhaarjacke, der sich den strohgelben Schal wie eine weiche Schlinge um den Hals gebunden hat.
»Ich habe sie nach oben geräumt, ins Regal rechts. Wieso bist du um diese Zeit hier in der Gegend?«
Camillo ist zweiundfünfzig, sieht aber gut und gerne fünf Jahre jünger aus. Er ist Vater zweier erwachsener Söhne, trägt sein blondes Haar schulterlang, und bis vor ein paar Wochen hatte er auch noch eine Frau, mit der er siebenundzwanzig Jahre verheiratet gewesen war. Letzten Monat, nachdem sie ihre Psychoanalyse beendet hatte, war seine Laura dann nach Hause gekommen, hatte das Essen zubereitet und ihm mitgeteilt, dass ihre Ehe »hiermit zu Ende ist«. Ganz minimalistisch. Er war, wie man so schön sagt (obwohl ich den Ursprung dieser Redewendung nicht kenne), »völlig versteinert«. Eine Welt von Sicherheiten und Gewohnheiten lag plötzlich und ohne Vorwarnung zerbrochen zu seinen Füϐen, und die Sachertorte blieb ihm im Halse stecken. Er ist ein zerstreuter Typ und war auf diese Eröffnung so gar nicht vorbereitet und sich Laura immer so sicher gewesen.
Während unseres Studiums waren Camillo und ich einmal liiert.
Heute kommt er in den Laden, wenn er
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