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Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
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senkte den Blick.
    »Sie kennen ihn nicht!«, wiederholte ich.
    »Haben die Wachmänner euch schon gehabt?«, fragte er.
    Ich starrte ihn an.
    »Zwischen den Beinen?«, fuhr er fort. »Haben sie euch schon gehabt?«
    Ich schnaubte angewidert. Dieser Mann war unerträglich. Ich ließ ihn sitzen und verließ die Hütte.
    »Hallo.«
    Ich drehte mich um. Andrius lehnte draußen.
    »Hallo«, erwiderte ich.
    »Du siehst schrecklich aus«, sagte er.
    Ich war zu erschöpft für eine schlagfertige Antwort. Ich nickte.
    »Was musstet ihr machen?«
    »Löcher graben«, antwortete ich. »Jonas war den ganzen Tag in der Schuhmacherwerkstatt.«
    »Ich habe im Wald Holz gehackt«, sagte Andrius. Er war dreckig, aber die Wachmänner schienen ihn nicht geschlagen zu haben. Gesicht und Arme waren braun gebrannt, wodurch seine Augen noch blauer wirkten. Ich zog einen Klumpen Dreck aus meinen Haaren.
    »In welcher Hütte seid ihr?«, fragte ich.
    »Irgendwo da drüben«, antwortete er, ohne in eine bestimmte Richtung zu zeigen. »Grabt ihr mit diesem blonden NKWD-Mann?«
    » Mit ihm? Guter Witz. Er gräbt nicht«, sagte ich. »Er steht nur herum und raucht und brüllt uns an.«
    »Er heißt Kretzky«, sagte Andrius. »Der Kommandant heißt Komorow. Ich werde versuchen, noch mehr herauszufinden.«
    »Woher bekommst du deine Informationen? Weißt du etwas über die Männer?«, fragte ich, weil ich an Papa dachte. Doch Andrius schüttelte den Kopf.
    »Angeblich gibt es in der Nähe ein Dorf mit Postamt«, sagte ich. »Hast du davon gehört? Ich würde meiner Cousine gern einen Brief schreiben.«
    »Die Sowjets lesen alle Briefe. Sie haben Übersetzer. Sei also vorsichtig.«
    Ich senkte den Blick und dachte daran, dass der NKWD Mutter aufgefordert hatte zu übersetzen. Wir konnten keine persönlichen Briefe mehr schreiben. Die Privatsphäre war nur noch eine Erinnerung. Sie war nicht einmal rationiert wie Schlaf oder Brot. Ich überlegte, Andrius zu erzählen, dass Mutter für den NKWD spionieren sollte.
    »Hier«, sagte er und hielt mir eine Hand hin. Als ich seine Finger zurückbog, erblickte ich drei Zigaretten.
    »Du gibst mir Zigaretten?«, fragte ich.
    »Was denn sonst? Glaubst du, ich hätte eine gebratene Ente in der Tasche?«
    »Nein. Ich meine … Danke.«
    »Gern. Sie sind für deinen Bruder und deine Mutter. Geht es ihnen gut?«
    Ich nickte und stieß meinen Schuh in den Dreck. »Woher hast du die Zigaretten?«, fragte ich.
    »Irgendwoher.«
    »Wie geht es deiner Mutter?«
    »Prima«, antwortete er knapp. »Na, ich muss los. Grüß Jonas von mir. Und pass auf, dass du die Zigaretten nicht mit dem Wundsaft deiner Blasen verdirbst«, scherzte er.
    Während ich zu unserer Hütte stolperte, versuchte ich, ihn im Blick zu behalten. Wo mochte seine Hütte sein?
    Ich gab Mutter die drei Zigaretten. »Von Andrius«, sagte ich.
    »Sehr nett von ihm«, sagte Mutter. »Woher hat er sie?«
    »Hast du Andrius getroffen?«, fragte Jonas. »Geht es ihm gut?«
    »Ja. Er hat den ganzen Tag im Wald Holz gehackt. Ich soll dich von ihm grüßen.«
    Die Altaierin kam zu Mutter geschwankt und hielt die Hand auf. Sie führten ein kurzes Gespräch mit vielen »Njets«, und die Frau stampfte oft mit dem Fuß auf.
    »Elena«, sagte Mutter und zeigte auf sich. »Lina, Jonas«, fuhr sie fort und zeigte auf uns.
    »Uljuschka!«, sagte die Frau und reckte Mutter die offene Handfläche entgegen.
    Mutter gab ihr eine Zigarette.
    »Warum tust du das?«, fragte Jonas.
    »Sie sagt, es sei die erste Mietrate«, antwortete Mutter. »Und sie heißt Uljuschka.«
    »Ist das ihr Vorname oder ihr Nachname?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung. Aber wenn wir hier wohnen wollen, müssen wir einander richtig anreden.«
    Ich breitete meinen Regenmantel auf einer Ecke des Strohs aus. Dann legte ich mich hin. Ich fand es schrecklich, dass Mutter gesagt hatte: »Wenn wir hier wohnen wollen.« Denn das klang, als ob wir bleiben würden. Sie hatte auch spassiba gesagt, »danke« auf Russisch. Als ich mich nach Mutter umdrehte, teilte sie gerade ein Streichholz mit Uljuschka. Sie hielt die Zigarette zwischen ihren langen Fingern, zog zwei Mal daran und drückte sie dann aus, um sich den Rest für später aufzuheben.
    »Lina«, flüsterte Jonas. »Wie sah Andrius aus?«
    »Er sah gut aus«, antwortete ich und dachte an sein braun gebranntes Gesicht.
Ich lag im Bett und horchte. Dann hörte ich draußen endlich leise Schritte. Der Vorhang bauschte sich, und Joanas braun gebranntes

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