Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)
antwortete Frau Rimas.
»Arbeitet weiter und hört auf zu schwatzen«, kläffte die mürrische Frau. »Ich will etwas essen.«
33
Das Loch war einen halben Meter tief, als ein Lastwagen einen kleinen Eimer Wasser brachte. Der Wachmann gönnte uns eine kurze Pause. Ich hatte Blasen an den Händen, und meine Finger waren dreckig. Man gab uns weder Schöpflöffel noch Becher. Wir beugten uns abwechselnd wie Hunde über den Eimer, während der blonde Wachmann genüsslich aus einer großen Kanne trank. Das Wasser roch fischig, aber das war mir egal. Meine Knie waren aufgescheuert, und mein Rücken schmerzte vom stundenlangen Bücken.
Wir gruben tief im Wald auf einer kleinen Lichtung. Mutter bat darum, austreten zu dürfen, und zog Frau Rimas und mich zwischen die Bäume. Wir rafften die Kleider und hockten uns hin, um uns zu erleichtern.
Da saßen wir und sahen uns an. »Würdest du mir bitte das Talkum reichen?«, fragte Frau Rimas, die sich mit einem Blatt abwischte.
Wir mussten lachen. Es sah lächerlich aus, wie wir hier mit den Händen vor den Knien im Kreis hockten. Ja, wir lachten. Mutter lachte so schallend, dass Locken aus ihrem Kopftuch rutschten.
»Unseren Sinn für Humor«, sagte Mutter, die Tränen gelacht hatte, »den können sie uns nicht nehmen.«
Wir brüllten vor Lachen. Die Laternen flackerten im Dunkeln. Joanas Bruder spielte eine fröhliche Melodie auf dem Akkordeon. Mein Onkel, der zu viel Brombeerlikör getrunken hatte, versuchte, unsere Mütter nachzuahmen, und tanzte auf dem Hinterhof ungelenk eine Gigue. Er tat so, als würde er ein Kleid raffen, und hüpfte von einem Bein auf das andere.
»Komm«, flüsterte Joana und ergriff meine Hand. »Lass uns spazieren gehen.«
Wir hakten einander unter und gingen zwischen den dunklen Häusern zum Strand. Sand drang in meine Schuhe. Als wir am Ufer standen, plätscherten die Wellen dicht vor uns. Die Ostsee glitzerte im Mondschein.
»Der Mond scheint auf das Wasser, als wollte er uns zu einem Bad einladen«, seufzte Joana.
»Stimmt. Er ruft uns«, sagte ich und prägte mir Licht und Schatten ein, um sie später malen zu können. Ich schüttelte die Sandalen von den Füßen. »Los, wir gehen rein.«
»Ich habe keinen Badeanzug dabei«, sagte Joana.
»Na und? Ich auch nicht.«
»Wir dürfen nicht nackt baden«, erwiderte sie.
»Wieso denn nackt?«, fragte ich und watete im Kleid in das schwarze Wasser.
»Lina! Um Himmels willen! Was tust du?«, keuchte Joana.
Ich fuhr mit ausgebreiteten Armen die Schatten nach, die der Mond und die Wolken auf das Wasser warfen. Mein Kleid bauschte sich, als wäre es federleicht. »Komm schon! Es ist herrlich!« Ich tauchte unter.
Joana zog die Schuhe aus und watete bis zu den Knöcheln ins Wasser. Der Mond schien auf ihre langen braunen Haare und ihre hochgewachsene Gestalt.
»Los, komm, es ist wunderbar!«, rief ich. Sie watete langsam weiter, zu langsam. Ich sprang auf und zog sie ins Wasser. Sie schrie und lachte. Joana hatte ein unverkennbar raues und unbändiges Lachen, das weit über das Wasser hallte.
»Du bist verrückt!«, sagte sie.
»Warum? Es sah so schön aus, dass ich ein Teil davon sein wollte«, erwiderte ich.
»Malst du uns so?«, fragte Joana.
»Ja. Und ich nenne das Bild … Zwei im Schwarz tanzende Köpfe«, sagte ich und bespritzte sie.
»Ich will nicht nach Hause. Hier ist es einmalig schön«, sagte sie und ließ die Arme durch das Wasser rauschen. »Pst, da ist jemand.«
»Wo?«, fragte ich und fuhr herum.
»Dort, zwischen den Bäumen«, flüsterte sie. Dann tauchten zwei Gestalten aus dem Uferwäldchen auf. »Das ist er, Lina! Der Große. Der, von dem ich dir erzählt habe. Den ich in der Stadt gesehen habe! Was tun wir jetzt?«
Zwei Jungen kamen am Strand auf uns zu.
»Bisschen spät zum Baden, wie?«, fragte der große Junge.
»Gar nicht«, sagte ich.
»Ach, wirklich?«, fragte er. »Badet ihr immer im Dunkeln?«
»Ich bade, wenn mir danach ist«, sagte ich.
»Und deine große Schwester? Badet sie auch immer am späten Abend?«
»Frag sie doch selbst«, erwiderte ich. Joana trat mich unter Wasser.
»Passt bloß auf, denn sonst sieht euch jemand nackt«, sagte er grinsend.
»Ja? Meinst du?« Ich richtete mich im Wasser auf. Das nasse Kleid klebte an meinem Körper wie Papier an einem geschmolzenen Karamellbonbon. Ich ließ die Arme in das Wasser klatschen, um die Jungen nass zu spritzen.
»Verrücktes Huhn.« Der große Junge grinste und wich dem Wasser aus.
»Na los«, sagte sein Freund.
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