Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)
unsere Unterschrift zu, dieser Kolchose beizutreten.« Im Raum wurde Unmut laut. Die Leute wandten sich wieder dem Kommandanten zu. Während er sprach, schob er wie nebenbei die Uniformjacke zurück und enthüllte die Waffe an seiner Hüfte. Die Menge trippelte unruhig.
»Zweitens«, fuhr Mutter fort, »verpflichten wir uns durch unsere Unterschrift zur Zahlung einer Kriegssteuer von zweihundert Rubel pro Person, Kinder eingeschlossen.«
»Woher sollen wir zweihundert Rubel nehmen?«, fragte der Glatzkopf. »Sie haben uns doch schon alles gestohlen.«
Die Leute begannen zu diskutieren. Ein NKWD-Mann stieß den Gewehrkolben auf den Tisch. Alle verstummten.
Ich betrachtete Komorow, während er redete. Er sah Mutter in die Augen, als würde er seine Worte sehr genießen. Mutter schwieg mit nach unten gezogenen Mundwinkeln.
»Und? Der dritte Punkt, Elena?«, fragte Frau Rimas.
»Wir bestätigen durch unsere Unterschrift, Kriminelle zu sein.« Mutter hielt kurz inne. »Und unser Urteil lautet … fünfundzwanzig Jahre Zwangsarbeit.«
Im Raum wurde gerufen und geheult. Irgendjemand rang laut hörbar nach Luft. Die Menge drängte zum Tisch, wollte diskutieren. Die NKWD-Männer legten die Gewehre auf uns an. Mir stand der Mund offen. Fünfundzwanzig Jahre? Man wollte uns fünfundzwanzig Jahre inhaftieren? Dann wäre ich bei meiner Entlassung älter, als Mutter jetzt war. Ich griff nach Jonas, um mich bei ihm abzustützen, aber er war nicht mehr da. Er war zu meinen Füßen zusammengebrochen.
Ich konnte nicht mehr tief durchatmen. Der Raum begann, sich zu drehen. Ich taumelte, von der allgemeinen Panik angesteckt.
»Ruhe!«, brüllte jemand. Alle fuhren herum. Es war der grauhaarige Mann, der immer mit seiner Uhr hantierte.
»Beruhigt euch«, sagte er langsam. »Kein Grund zur Hysterie. Wir können nicht klar denken, wenn wir panisch werden. Das macht den Kindern Angst.«
Ich sah zu dem kleinen Mädchen. Sie klammerte sich an das Kleid ihrer Mutter, Tränen liefen über ihr zerschundenes Gesicht.
Der Mann senkte die Stimme und sagte ruhig: »Wir sind kluge, würdevolle Menschen. Darum hat man uns deportiert. Falls mich jemand noch nicht kennt – ich heiße Alexandras Lukas. Ich war Anwalt in Kaunas.« Die Menge beruhigte sich. Mutter und ich halfen Jonas auf die Beine.
Komorow brüllte etwas vom Schreibtisch aus.
»Bitte teilen Sie dem Kommandanten mit, dass ich unseren Freunden die Lage erkläre, Frau Vilkas«, sagte Herr Lukas. Mutter übersetzte. Kretzky biss auf einem Daumennagel herum.
»Ich unterschreibe kein Formular«, sagte Fräulein Grybas. »Wir mussten schon bei der Lehrerkonferenz ein Formular zur Registrierung unterschreiben. Und wohin hat das geführt? So haben sie die Namen aller Lehrer gesammelt, die deportiert werden sollten.«
»Wenn wir nicht unterschreiben, bringen sie uns um«, sagte die mürrische Frau.
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Herr Lukas. »Nicht vor dem Winter. Es ist Anfang August, und es gibt noch viel zu tun. Wir sind gute, kräftige Arbeiter. Wir bestellen die Äcker und errichten Gebäude für sie. Sie haben Vorteile durch uns, jedenfalls bis zum Winter.«
»Er hat Recht«, sagte der Glatzkopf. »Erst schinden sie uns, bis wir auf dem Zahnfleisch gehen, und dann töten sie uns. Wollen wir darauf warten? Ich nicht.«
»Sie haben die junge Mutter erschossen«, schnaubte die mürrische Frau.
»Sie haben Ona erschossen, weil sie den Verstand verloren hat«, entgegnete Herr Lukas. »Sie wusste nicht mehr, was sie tat. Aber wir wissen, was wir tun. Wir sind kluge, vernünftige Menschen.«
»Dann sollten wir also nicht unterschreiben?«, fragte jemand.
»Nein. Ich denke, wir sollten uns jetzt ordentlich hinsetzen. Frau Vilkas wird ihnen erklären, dass wir noch nicht bereit sind, das Formular zu unterschreiben.«
»Noch nicht bereit?«, fragte Frau Rimas.
»Ich stimme ihm zu«, sagte Mutter. »Wir dürfen uns nicht ganz verweigern. Und wir müssen ihnen beweisen, dass wir nicht hysterisch sind. Bildet drei Reihen.«
Die NKWD-Männer hoben die Gewehre, weil sie nicht wussten, was wir vorhatten. Wir ließen uns in drei Reihen vor dem Schreibtisch nieder, über dem die Porträts der Führer Russlands hingen. Die Wachmänner tauschten verblüffte Blicke. Wir saßen ruhig da. Wir hatten wieder etwas Würde zurückerlangt. Ich legte einen Arm um Jonas.
»Würden Sie Kommandant Komorow bitte fragen, was man uns vorwirft, Frau Vilkas?«, fragte Herr Lukas.
Mutter
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