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Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
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verginge. Das würde uns Kraft geben, meinte sie.
    »Ich würde gern das Dorf besuchen«, sagte ich. »Vielleicht können wir dort Proviant kaufen oder Briefe abschicken.«
    »Wie sollen wir einen Ausflug machen, wenn wir die ganze Zeit arbeiten müssen?«, fragte die mürrische Frau. »Und wenn wir nicht arbeiten, bekommen wir nichts zu essen.«
    »Ich werde mich bei der Frau erkundigen, bei der ich wohne«, sagte Frau Rimas.
    »Pass auf, was du fragst«, erwiderte Mutter. »Wir wissen nicht, wem wir vertrauen können.«
    Ich vermisste Papa. Er hätte gewusst, wen man fragen konnte und von wem man sich fernhalten musste.
    Wir gruben ohne Pause, bis das Wasser kam. Kommandant Komorow saß mit im Lastwagen. Er inspizierte die Gruben. Ich schielte zum Eimer. Meine Haare klebten im Gesicht. Ich hätte den Kopf am liebsten in das Wasser gesteckt und getrunken. Komorow bellte einen Befehl. Kretzky verlagerte nervös das Gewicht. Komorow wiederholte den Befehl.
    Mutter wurde kreidebleich. »Wir sollen … in die fertige Grube steigen«, sagte sie und krallte die Finger in ihr Kleid.
    »Wozu?«, fragte ich.
    Komorow schrie und zog die Pistole. Er zielte auf Mutter. Sie sprang in die Grube. Er zielte auf mich. Ich sprang auch. So ging es weiter, bis wir zu viert in der Grube standen. Komorow lachte und gab noch einen Befehl.
    »Wir sollen die Hände auf den Kopf legen«, sagte Mutter.
    »Guter Gott«, stieß die zitternde Frau Rimas hervor. »Bitte nicht.«
    Komorow umkreiste die Grube mit angelegter Pistole und sah auf uns herab. Dann mussten wir uns nebeneinander auf den Boden legen. Mutter ergriff meine Hand. Komorows große, kantige Silhouette ragte vor dem blauen Himmel auf. Er ging noch einmal um die Grube.
    »Ich liebe dich, Lina«, flüsterte Mutter.
    »Vater unser, der du bist im Himmel«, begann Frau Rimas.
    PENG!
    Er schoss in die Grube. Dreck rieselte auf unsere Köpfe. Frau Rimas kreischte. Komorow befahl uns, den Mund zu halten. Er umkreiste uns unablässig und beschimpfte uns halblaut als dreckige Schweine. Dann trat er die Erde, die wir ausgehoben hatten, zurück in die Grube. Sie prasselte auf meine Füße, auf mein Kleid, auf meine Brust. Komorow lachte laut auf. Er zielte weiter mit der Pistole auf uns und trat wie besessen Erde nach unten. Ich war nach kurzer Zeit davon bedeckt. Wenn ich mich aufrichtete, würde er mich erschießen, und wenn ich liegen blieb, würde ich lebendig begraben werden. Ich kniff die Augen zu, spürte das Gewicht der Erde auf meinem Körper. Schließlich fiel auch Dreck auf mein Gesicht.
    PENG!
    Immer mehr Erde rieselte auf uns herab. Komorow brüllte vor Lachen. Erde verschloss meine Nase, und als ich durch den Mund atmen wollte, wäre ich fast daran erstickt.
    Da ging Komorows Lachen in ein bellendes Husten über. Er lachte und hustete abwechselnd, als hätte er sich selbst übertroffen und würde nun versuchen, seine Beherrschung wiederzugewinnen. Ich hörte Kretzky etwas sagen.
    PENG!
    Dann trat Stille ein. Wir lagen da, begraben unter der Erde, die wir selbst ausgehoben hatten. Das Motorengeräusch des abfahrenden Lastwagens drang gedämpft an meine Ohren. Ich konnte die Augen nicht öffnen. Mutter drückte meine Hand, sie lebte also noch. Ich erwiderte den Druck. Dann ertönte Kretzkys Stimme über uns. Mutter richtete sich auf und fegte hektisch Erde von meinem Gesicht. Sie zog mich auf die Beine, und ich umarmte sie, wollte nicht mehr loslassen. Frau Rimas grub die mürrische Frau aus, die pfeifend Luft holte und Dreck hustete.
    »Ist schon gut, mein Schatz«, sagte Mutter und wiegte mich in ihren Armen. »Er wollte uns nur Angst einjagen. Er will, dass wir unterschreiben.«
    Ich konnte nicht weinen, und die Worte blieben mir im Hals stecken.
    »Dawai«, sagte Kretzky sanft und hielt uns eine Hand hin.
    Ich starrte sie zögernd an. Er reckte sie noch weiter. Da packte ich seinen Unterarm und er den meinen. Ich stieß die Zehen in die Erde, und er zog mich aus der Grube. Ich stand ihm gegenüber. Wir starrten einander an.
    »Holt mich hier raus!«, schrie die mürrische Frau. Ich sah in die Richtung, in der der Lastwagen verschwunden war. Kretzky befahl uns, an der zweiten Grube weiterzuarbeiten. An diesem Tag sprach niemand mehr ein Wort.

38
    Was habt ihr denn?«, wollte Jonas wissen, als wir wieder in der Hütte waren.
    »Nichts, mein Schatz«, antwortete Mutter.
    Jonas ließ den Blick fragend von Mutter zu mir wandern.
    »Wir sind nur müde«, sagte Mutter

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