Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
Vom Netzwerk:
Kopfschuss sterben möchten.«
    »Hören Sie denn nie auf?«, fragte ich.
    »Das ist die Wahrheit. Eure Liebesbriefe können für die Männer den Tod bedeuten«, sagte der Glatzkopf. »Und was gibt es Neues vom Krieg?«
    »Die Deutschen haben Kiew erobert«, erzählte Mutter.
    »Was wollen sie dort?«, fragte Jonas.
    »Was meinst du wohl? Sie töten Menschen. Es ist Krieg!«, sagte der Glatzkopf.
    »Töten die Deutschen auch Menschen in Litauen?«, wollte Jonas wissen.
    »Dummer Junge«, sagte der Glatzkopf. »Weißt du denn nicht, dass Hitler die Juden umbringt? Vielleicht helfen ihm Litauer dabei!«
    »Wie bitte?«, stieß ich hervor.
    »Wie meinen Sie das? Hitler hat doch Stalin aus Litauen vertrieben«, sagte Jonas.
    »Ein Held ist er deshalb noch lange nicht. Begreift ihr nicht, dass unser Land verloren ist? Uns droht der Tod, egal, wer uns beherrscht«, sagte der Glatzkopf.
    »Schluss damit!«, schrie Fräulein Grybas. »Ich ertrage das nicht!«
    »Seien Sie bitte still, Herr Stalas«, sagte Mutter.
    »Und Amerika oder Großbritannien?«, fragte Frau Rimas. »Sie werden uns doch sicher helfen.«
    »Noch tun sie es nicht«, erwiderte Mutter. »Aber hoffentlich bald.«
    Das waren seit Monaten die ersten Nachrichten aus Litauen. Mutter hatte sofort bessere Laune. Trotz des Hungers und der Blasen von der harten Arbeit war sie voller Freude. Sie ging mit federnden Schritten. Die Hoffnung belebte sie wie reiner Sauerstoff. Ich dachte an Papa. Saß er wirklich irgendwo in Sibirien im Gefängnis? Ich rief mir die Karte ins Gedächtnis, die ich für den NKWD kopiert hatte, und dachte daran, wie Stalin und Hitler Europa unter einander aufteilten. Da kam mir ein Gedanke. Was war mit Dr. Seltzer, wenn Hitler die litauischen Juden ermorden ließ?
    Die Möglichkeit, dass wir Briefe bekamen, sorgte für endlosen Gesprächsstoff. Wir tauschten die Namen von Verwandten, von Nachbarn und Arbeitskolleginnen aus – von jedem, der möglicherweise einen Brief schickte. Fräulein Grybas war fest davon überzeugt, dass ihr junger Nachbar ihr schreiben würde.
    »Wird er nicht. Er wusste sicher nicht einmal, dass Sie seine Nachbarin sind«, sagte der Glatzkopf. »Sie stechen nämlich nicht gerade ins Auge.«
    Fräulein Grybas war beleidigt. Später lachten Jonas und ich darüber. Als wir abends auf unserem Stroh lagen, dachten wir uns absurde Szenen aus, in denen Fräulein Grybas versuchte, ihren jungen Nachbarn zu bezirzen. Mutter gebot uns, damit aufzuhören, aber ein paar Mal hörte ich, wie sie auch kicherte.
    Es wurde kälter, und der NKWD trieb uns zu noch härterer Arbeit an. Einmal bekamen wir sogar eine Extraration, weil wir vor dem Schnee noch eine Hütte bauen sollten. Wir weigerten uns weiter, die Formulare zu unterschreiben. Andrius wollte immer noch nicht mit mir reden. Wir setzten Kartoffeln für den Frühling, obwohl niemand von uns daran glauben mochte, dass wir zur Zeit der Schneeschmelze noch in Sibirien waren.
    Die Sowjets zwangen Mutter, eine Schulklasse zu unterrichten, die aus litauischen und einheimischen Kindern bestand. Sie musste es auf Russisch tun, obwohl viele Kinder die Sprache noch immer nicht ganz verstanden. Fräulein Grybas durfte nicht unterrichten. Das schmerzte sie. Man sagte ihr, dass sie Mutter nur helfen dürfe, wenn sie unterschrieb. Sie weigerte sich, unterstützte Mutter aber abends bei der Unterrichtsvorbereitung.
    Ich war froh, dass Mutter bei der Arbeit ein Dach über dem Kopf hatte. Jonas musste jetzt Feuerholz hacken. Es schneite schon, und er kam jeden Abend nass und frierend nach Hause. Seine gefrorenen Haarspitzen brachen einfach ab. Meine Gelenke wurden steif vor Kälte. Ich war mir sicher, dass meine Knochen mit Eis gefüllt waren, denn sie knackten und knirschten, wenn ich mich ausstreckte. Wenn wir uns drinnen nach der Arbeit wieder aufwärmten, spürten wir ein schreckliches Stechen im Gesicht, in den Händen und Füßen. Mit zunehmender Kälte wurden die NKWD-Männer immer reizbarer. Uljuschka auch. Sie verlangte nach Lust und Laune Miete von uns. Ich musste ihr meine Brotration mehrmals wieder entreißen.
    Jonas bezahlte die Miete mit Kleinholz und Scheiten, die er beim Holzhacken entwendete. Zum Glück hatte er kräftige Schuhe und Stiefel für uns geschustert, als er noch mit den zwei Sibirierinnen zusammengearbeitet hatte. Sein Russisch verbesserte sich zusehends. Ich zeichnete meinen kleinen Bruder. Er war größer geworden und wirkte meist sehr ernst.
    Ich musste

Weitere Kostenlose Bücher