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Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
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Kretzky in der Tür. Ein Brot flog in den Dreck. Warum hatte er uns das Brot nicht in die Hand gedrückt? War das so schwierig? Ich hasste ihn.
    »Komm, Jonas, wir gehen«, sagte ich. Auf einmal hagelte es Kartoffeln. In der Küche ertönte Gelächter.
    »Müsst ihr sie unbedingt werfen?«, fragte ich und wollte auf die dunkle Türöffnung zugehen. Da wurde die Tür zugeknallt.
    »Sieh mal! Das sind ganz schön viele Kartoffeln!«, rief Jonas und beeilte sich, sie aufzusammeln.
    Die Tür ging wieder auf, und eine Blechdose traf mich gegen die Stirn. Als sie zu Boden klapperte, spürte ich warmes Blut über der einen Augenbraue. Dann bewarf man uns mit Müll und leeren Konserven.
    »Sie sind betrunken. Lass uns verschwinden, bevor sie herumballern«, sagte ich und drückte die Akte fest an mich.
    »Warte. Da ist noch mehr Essen!«, sagte Jonas und sammelte alles hastig auf. Ein Sack flog heraus, traf ihn gegen die Schulter und warf ihn um. Hinter der Tür wurde gejohlt.
    »Jonas!« Ich lief zu ihm, bekam aber plötzlich etwas Nasses in das Gesicht. Faulige Kartoffelschalen. Ich wischte mir den stinkenden Matsch aus den Augen und aß ihn mit gesenktem Kopf.
    Kretzky erschien in der Tür und sagte etwas.
    »Schnell!«, sagte Jonas. »Er wirft uns vor, Essen zu stehlen, und droht, uns zu melden.«
    Wir rannten wie aufgescheuchte Hühner hin und her, reckten den Hals nach Essbarem.
    »Faschistenschweine!«, brüllte Kretzky und knallte die Tür zu.
    Ich tat alle Nahrungsmittel in meinen Rock und drückte die Akte unter dem Mantel mit einem Arm gegen meine Seite. Ich nahm so viel wie möglich mit, sogar leere Dosen, denn vielleicht konnte man ja noch etwas herauskratzen. Meine linke Stirnseite pochte, und als ich sie betastete, spürte ich eine große blutende Beule.
    Andrius tauchte neben dem Gebäude auf und sah sich um. »Wie ich sehe, bist du für deine Zeichnung belohnt worden«, sagte er.
    Ich überhörte ihn, sammelte mit der freien Hand die letzten Kartoffeln auf und stopfte sie hektisch in Rock und Taschen.
    Andrius griff nach dem Sack, den ich mir auch noch aufladen wollte. »Keine Sorge«, sagte er sanft und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Wir nehmen alles mit.«
    Ich sah ihn an.
    »Du blutest ja«, sagte er.
    »Halb so wild. Mir geht es gut«, erwiderte ich und zog eine verfaulte Kartoffelschale aus meinem Haar.
    Jonas nahm das Brot. Andrius trug den großen Sack.
    »Was ist darin?«, fragte Jonas.
    »Mehl«, sagte Andrius. »Ich trage es für euch.«
    »Hast du dich verletzt?«, fragte Andrius, der meinen gegen den Mantel gedrückten Arm bemerkte.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Wir stapften stumm durch den Schnee.

56
    Lauf schon mal vor und sag Mutter, dass alles in Ordnung ist«, bat ich Jonas, sobald wir weit genug von den NKWD-Unterkünften entfernt waren. »Sie macht sich sicher Sorgen. Beeil dich!«
    Jonas rannte los. Ich verlangsamte meine Schritte. »Sie haben eine Akte über uns«, sagte ich, während mein Bruder zwischen den Hütten verschwand.
    »Sie führen Akten über alle«, erwiderte Andrius. Er warf sich den Mehlsack auf den Schultern zurecht.
    »Vielleicht kannst du mir helfen«, sagte ich.
    Andrius unterdrückte ein Lachen und schüttelte den Kopf. »Ich kann keine Akten stehlen, Lina. Das ist viel schwieriger als Feuerholz oder Tomatenkonserven. Etwas aus der Küche zu entwenden, ist das eine, aber …«
    »Es geht nicht darum, die Akte zu stehlen«, sagte ich und blieb stehen.
    »Wie meinst du das?«, fragte Andrius.
    »Du musst die Akte nicht mehr stehlen«, flüsterte ich und öffnete verstohlen den Mantel. »Denn ich habe sie schon. Sie lag auf dem Schreibtisch des Kommandanten. Ich bitte dich nur, sie zurückzubringen, nachdem ich sie gelesen habe.«
    Andrius erstarrte vor Schreck. Er sah sich hektisch um. Als er feststellte, dass niemand in der Nähe war, zog er mich hinter eine Hütte. »Bist du verrückt? Willst du sterben?«, zischte er.
    »Der Glatzkopf sagt, dass alles in unserer Akte steht: wohin man uns verschleppt hat, vielleicht auch, was mit den anderen Familienangehörigen passiert ist. Steht alles hier drin.« Ich hockte mich hin, ließ das Essen fallen, das ich aufgesammelt hatte, und griff in meinen Mantel.
    »Hast du den Verstand verloren, Lina? Gib mir die Akte. Ich bringe sie zurück.«
    Da wurden Schritte laut. Andrius stellte sich schützend vor mich. Jemand ging vorbei.
    Er ließ den Sack fallen und wollte nach der Akte greifen. Ich wich ihm aus und öffnete

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