Und jeder tötet, was er liebt
Anna es nicht nötig, sich zu rechtfertigen, doch schon nach dem ersten Satz war sie mittendrin.
„Ich kann hier im Moment unmöglich weg. Die drei werden auch ohne mich ihren Spaß haben.“
„Bist du tatsächlich so unersetzbar?“
Langsam begann sie, sich zu ärgern. Was gab Jan eigentlich das Recht, sich auf diese Weise in ihr Leben einzumischen?
„Hast du etwa angerufen, um mich an meine Familienpflichten zu erinnern?“
Stille am anderen Ende der Leitung. Schließlich hörte sie ein Räuspern, dann sagte er: „Tut mir leid, wenn ich da einen heiklen Punkt angesprochen haben sollte. Anna, ich muss dich unbedingt sehen. Was hältst du davon, wenn ich nächstes Wochenende zu dir komme?“
Auf einmal war da wieder dieses Kribbeln in ihrem Bauch, doch war es klug, ihm ausgerechnet jetzt nachzugeben? Wo würde sie dieser Weg hinführen und wollte sie ihn überhaupt weitergehen?
„Tom und die Kinder sind dann noch nicht zurück, deshalb halte ich das für keine so gute Idee. Ich muss über einiges nachdenken, Jan. Ein Besuch von dir wird mir dabei nicht helfen, ganz im Gegenteil. Du, entschuldige, aber die Arbeit ruft, ich melde mich wieder bei dir.“
Anna legte den Hörer auf und war stolz auf sich. Diesmal hatte sie der Versuchung widerstanden.
„Die Kollegen haben da etwas Interessantes auf einem der Konten der LÜBAU gefunden.“
Weber kam gerade zur Tür herein, er hielt Anna Greve einen Zettel unter die Nase.
„Sehen Sie, hier ist eine Summe von zwei Millionen Euro abgehoben worden. Die Kontobewegung hat vor knapp einem Jahr stattgefunden, und der Auszahlungsbeleg ist von Alfons Lüdersen persönlich unterschrieben worden.“
„Das heißt, Lüdersen hat das Geld bar abgehoben? Dafür muss es doch einen besonderen Grund gegeben haben.“
„Vielleicht hat er hinter dem Rücken der LÜBAU eigene Geschäfte gemacht“, entgegnete Weber. „Kommen Sie, Anna, wir nehmen ihn uns gleich noch einmal vor.“
„Freitag, der 27. Juni, 15:20 Uhr, Wiederaufnahme des Verhörs mit Herrn Alfons Lüdersen. Anwesend sind die Kommissare Greve, Sibelius und Weber.“
„Ich hoffe, Herr Dr. Baumhöfner hat Ihnen klargemacht, dass es sich nicht lohnt, weiter zu schweigen“, begann Günther Sibelius und nahm sich vor, gleich noch einmal einen Versuch zu starten, Alfons Lüdersen aus der Reserve zu locken.
„Stellen Sie Ihre Fragen.“
„Wir waren bei Ihrem Termin in der Mordnacht stehen geblieben. Sie wollten uns den Namen der Person nennen, mit der Sie sich getroffen haben.“
Plötzlich war da ein Funkeln in Lüdersens Augen.
„Ich würde gern nur mit Ihnen beiden reden.“ Sein Blick heftete sich auf Weber und Günther Sibelius. „Was ich zu sagen habe, ist etwas delikat.“
„Wir können auf Ihre Gefühle leider keine Rücksicht mehr nehmen, Herr Lüdersen. Kommissarin Greve sitzt in ihrer Funktion als Kriminalbeamtin hier, nicht weil sie eine Frau ist.“
„Trotzdem möchte ich mit Ihnen allein sprechen.“
„Wir sind hier nicht auf einem Kaffeekränzchen“, blaffte Weber, und Anna wartete gespannt auf das, was Lüdersen zu erzählen hatte und das nicht für ihre Ohren bestimmt war.
„Ich bin in dieser Nacht noch zum Fischmarkt gefahren ...“ Er stockte.
„Um einen Blick auf die Elbe zu werfen?“
„Zwischen Ulrike Homberg und mir war es schon lange nicht mehr so wie am Anfang. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir von unserem Verhältnis etwas mehr versprochen. Ich hatte sie für toleranter gehalten.“
„Sie meinen in sexueller Hinsicht? Sind Ihre Vorlieben so speziell?“
„Das würde ich nicht sagen, aber ich brauche eben etwas mehr als reine Hausmannskost. Ulrike hat sich in dieser Hinsicht recht prüde gezeigt.“
„Kommen Sie endlich zur Sache.“
„Es ist nichts Besonderes. Nur trage ich eben gern Lack oder Gummi auf der Haut und mag es, wenn auch meine Partnerin dazu bereit ist.“
„Sie meinen Sex mit Masken und Fesselspielen – geht es in diese Richtung?“
„Ich bin hier nicht verpflichtet, Ihre Klischees zu bedienen.“
„Und deshalb haben Sie mitten in der Nacht einen Ausflug zum Fischmarkt gemacht?“
„Von Zeit zu Zeit brauche ich das. Zwischen uns war an diesem Abend nicht viel gelaufen.“
„Haben Sie gefunden, was Sie suchten, Herr Lüdersen?“
„Ich habe mit der Frau ungefähr eine Stunde in einem Zimmer am Hafen verbracht und bin anschließend sofort zu mir nach Hause gefahren.“
„Warum haben Sie Frau Homberg erst so viel später
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