Und jeder tötet, was er liebt
gestoßen.
„Fang jetzt bloß nicht an zu schreien!“
Der Mann saß mit seinem ganzen Körpergewicht auf ihrem Unterleib, seine Hände drückten ihre Arme auf das Bett. Im Schein der Straßenlaterne erkannte Anna nun sein Gesicht.
Maiwald!
„Ich hab dir doch versprochen, dass es dir noch leidtun wird, dich mit mir angelegt zu haben.“
Anna versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren.
„Lassen Sie uns vernünftig über die Sache sprechen, Herr Maiwald. Noch ist es nicht zu spät.“
„Die Gelegenheit dazu hast du längst verpasst.“
Er streichelte ihr beinahe sanft über die Stirn.
„Ich kreide dir nicht an, dass ich deinetwegen abhauen musste, da hast du nur deinen Job gemacht. Aber du bist ein Miststück, und genauso werde ich dich auch gleich behandeln.“
Anna dachte fieberhaft an ihre Dienstwaffe, aber die hing unten am Garderobenhaken.
„Ein ziemliches Risiko, nach Deutschland zurückzukommen, und das alles nur wegen mir.“
„Bilde dir jetzt bloß nichts ein. Ich hatte noch etwas anderes zu erledigen. Und für den Rückweg hatte ich mir vorgenommen, noch einmal bei meiner kleinen Polizistin vorbeizuschauen, wenn es passt.“
Unten auf der Straße hörte sie, wie sich das Garagentor ihres Nachbarn Menzel öffnete. Eines ihrer beiden Fenster im Schlafzimmer war immer noch gekippt.
„Hilfe“, schrie Anna nun in der Hoffnung, Menzel würde von ihrer Not etwas mitbekommen.
Da traf sie auch schon Maiwalds Faust unvermittelt und mit voller Wucht ins Gesicht.
Anna fing an zu weinen.
„Jetzt haben Sie mir die Kontaktlinsen rausgehauen, ich kann nichts mehr sehen! Bitte lassen Sie mich nach unten gehen, meine Brille holen.“
Er lachte gehässig. „Sieh an, meine Prinzessin hat nah am Wasser gebaut. Hab mich noch nie mit ’ner Blinden vergnügt, sollen ja ganz leidenschaftlich sein. Vergiss es, du kommst hier nicht weg.“
Maiwald nahm seine Hände von ihren Armen und setzte seine Knie links und rechts neben ihr ab, um seine Hose aufzuknöpfen. Diesen Moment nutzte Anna. Sie trat ihm mit aller Kraft zwischen die Beine, dann kroch sie unter dem sich vor Schmerzen krümmenden Maiwald hervor und rannte keuchend die Treppe herunter. Mit der Waffe in ihrer rechten Hand griff sie mit der linken zum Telefon und rief Weber an, doch der hatte sein Handy ausgeschaltet. Schnell wählte sie die nächste Nummer. Noch während sie mit Günther Sibelius sprach, hörte Anna von oben polternde Geräusche zuerst aus ihrem Schlafzimmer, dann auf dem Dach. Sie lief zur Haustür und zielte auf den jetzt auf der Straße davonrennenden Mann, doch in der Dunkelheit und aus dieser Entfernung war es unmöglich, ihn noch zu erwischen.
Als Günther Sibelius bei Anna eintraf, öffnete sie ihm mit einem Eisbeutel in der Hand, den sie fest gegen ihren Mund presste. Anschließend humpelte sie zu ihrem Sofa ins Wohnzimmer zurück.
„Lassen Sie mich mal sehen.“
Vorsichtig nahm Sibelius den Beutel beiseite. Aufmerksam betrachtete er ihre geschwollene aufgeplatzte Oberlippe, während Anna zu erzählen versuchte, was geschehen war.
„Sieht böse aus, aber ich glaube nicht, dass es genäht werden muss. Ich bringe Sie zur Sicherheit trotzdem ins Krankenhaus.“
Anna spürte plötzlich, wie ihr kalt wurde, sie zitterte am ganzen Körper.
„Nein, ich will in kein Krankenhaus. Es hätte schlimmer kommen können, doch heute war mein Schutzengel zum Glück ganz dicht an meiner Seite.“
Günther Sibelius holte ein Glas Rotwein aus der Küche und brachte es ihr.
„Hier, trinken Sie, davon wird Ihnen wieder warm werden. Sie sollten diese Nacht trotzdem nicht allein bleiben, Frau Greve. Vielleicht kommt er noch einmal zurück.“
„Glaube ich nicht, Maiwald hat seinen Auftritt gehabt. Aber wir müssen unbedingt eine Fahndung nach ihm herausgeben.“
Sibelius setzte sich neben Anna und nahm sie behutsam in den Arm.
„Machen Sie sich keine Sorgen, das habe ich bereits erledigt. Sollten wir nun nicht besser Ihren Mann verständigen? Wenn Sie wollen, können Sie auch mit zu mir kommen.“
„Lieber nicht, es geht schon, trotzdem danke für das Angebot. Wir sehen uns dann morgen im Büro.“
Als Günther Sibelius gegangen war, schloss Anna sorgfältig die Tür hinter ihm ab. Dann ging sie ins Badezimmer und betrachtete nachdenklich ihr lädiertes Gesicht. Sie nahm eine Schachtel mit Schlafmittel aus dem Medizinschrank, und während sie eine Tablette hinunterschluckte, fing sie hemmungslos zu weinen an. Was machte sie
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