Und jeder tötet, was er liebt
getan.“
„Haben Sie etwas dafür bekommen?“
„Ich hätte mich nie kaufen lassen, ich habe ihm geglaubt.“
Ulrike Homberg sah auf die Uhr. „Halten Sie bitte kurz dort drüben, ich möchte mich noch etwas herrichten.“
Ulrike Homberg stieg aus, und Anna wartete derweil in ihrem Wagen vor den Waschräumen auf der Rückseite einer Tankstelle. Ulrike Homberg würde vielleicht zu spät und mit verwischtem Make-up, aber wahrscheinlich auch erleichtert zu ihrer Verabredung ins Hotel „Atlantik“ kommen. Endlich gab es ein Loch in Alfred Lüdersens Lügengespinst, das Netz hatte sich unmerklich fester um ihn zusammengezogen.
15
Anna Greve fühlte sich ausgelaugt. Wie gern hätte sie sich jetzt, trotz der sommerlichen Wärme, vom Schaum umschmeichelt in ihrer Badewanne zurückgelehnt, den Duft von Melisse eingeatmet und dazu in Ruhe ein Glas Rotwein getrunken. Stattdessen hatte die Kommissarin die Fenster ihres Wagens weit geöffnet, und der Wind zerrte in ihren Haaren. Sie fuhr mit hoher Geschwindigkeit die Autobahn aus der Stadt hinaus. Die Klimaanlage benutzte Anna nur sehr ungern, und jetzt, nachdem die Sonne untergegangen war, konnte man auch getrost darauf verzichten. Vor dem Bauernhof, an dem sie sich für gewöhnlich mit Obst und Gemüse eindeckte, war das Verkaufsschild für Spargel bereits verschwunden. Natürlich, heute war ja schon der 27. Juni, und Spargel wurde nur bis zum Johannistag gestochen. Anna erinnerte sich nicht daran, den 24. und damit die letzte Gelegenheit, ihr Lieblingsessen zu genießen, jemals zuvor vergessen zu haben. Sie versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass es dafür jetzt bald die ersten Pfifferlinge im Wald geben würde.
Als sie in die Einfahrt zu ihrem Haus einbog, nahm sie das brennende Licht im Untergeschoss als nette Willkommensgeste wahr. Trotzdem spürte sie diesen ekelhaften Druck in ihrer Magengegend, der zumeist ein untrügliches Zeichen für Ärger war. Anna schloss die Haustür auf und hörte schwere Schritte, die sich aus dem Wohnzimmer näherten. Obwohl die Uhr weit nach Mitternacht zeigte, schien Tom noch nicht zu Bett gegangen zu sein. Nun kam er torkelnd in den Flur, musterte Anna mit aggressiv blitzenden Augen und schwankte auf sie zu. Tom trank gerne einmal ein Glas Wein oder zwei, aber nie so viel, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. In all den Jahren ihrer Ehe hatte Anna ihn niemals zuvor in diesem Zustand gesehen. Sie spürte, dass es heute ernst werden würde.
„Lieb von dir, dass du auf mich gewartet hast.“
„Du kommst spät.“ In Toms Stimme schwang etwas Drohendes mit. „Sag mir endlich die Wahrheit, Anna. Wer ist der Kerl?“
„Zuerst werde ich dir einmal einen Tee kochen.“
Sie verschwand in die Küche und kam nach ein paar Minuten mit Tee, einem Glas Rotwein für sich und einigen Butterbroten zurück.
„Du solltest etwas essen, ich gehe nur eben noch nach den Kindern schauen.“
Tom setzte sich auf die Küchenbank. Er nahm ein Stück Brot vom Teller und begann, lustlos darauf herumzukauen, während Anna in den ersten Stock hinauflief. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie hatte betrunkene Männer noch nie ausstehen können. Anna schaute in die Kinderzimmer, Ben und Paul lagen friedlich schlafend in ihren Betten. Zu gern hätte sie sich einfach dazugelegt und wäre mit ihnen zusammen in eine sorgenfreie Traumwelt geflüchtet, doch sie durfte nicht länger vor ihren Problemen mit Tom davonlaufen. Die Stunde der Wahrheit, vor der sie sich seit Tagen gefürchtet hatte, war gekommen. Anna war eigentlich nicht der Mensch, der Konflikten auswich, doch in diesem Augenblick wusste sie selbst nicht, wie es weitergehen sollte. In ihrem Herzen herrschte Chaos, und sie war deprimiert, aber es würde auch nicht weiterhelfen, wenn sie sich hier oben bei den Kindern verkroch. Also raffte sie sich auf und ging ins Wohnzimmer zurück.
„Ich habe einfach zu wenig Zeit für euch, es tut mir leid.“
Tom schien sich etwas erholt zu haben. Seine Haare waren nass, wahrscheinlich hatte er den Kopf unter Wasser gehalten, um wieder klar zu werden. Trotzdem reagierte er nicht auf ihren zaghaften Versuch, den Einstieg in ein Gespräch zu finden. Er saß einfach nur da und starrte sie an.
„Was ist passiert, Tom?“
„Das möchte ich von dir wissen. Ich scheine der einzige Mensch zu sein, der nicht weiß, was vor sich geht. Deine Mutter hat heute Nachmittag angerufen und merkwürdige Andeutungen gemacht. Sie wollte sich erkundigen, ob du
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