Und jeder tötet, was er liebt
überhaupt allein im Haus? Warum war Tom nie da, wenn man ihn brauchte?
Lukas Weber blieb an diesem Abend noch lange im Büro der Kollegen vom Betrugsdezernat. Er glaubte einfach daran, dass sich irgendwo in diesen Bergen von Papier oder auf den Disketten noch eine Spur finden lassen musste. Mittlerweile saß er ganz allein, einen großen Becher Tee vor der Nase, am Schreibtisch und arbeitete sich durch die Akten. Am meisten interessierten ihn die persönlichen Unterlagen Alfons Lüdersens, doch das Wenige, was vorhanden war, hatten die Kollegen bereits eingehend geprüft. Trotzdem ging er alles noch einmal durch, bisher ohne Ergebnis. Der Terminkalender vom letzten Jahr war nach wie vor unauffindbar. Die Sekretärin Lüdersens hatte dazu erklärt, dass ihr Chef sie nach Ablauf des Jahres zu Hause aufzubewahren pflegte. Es gab häufig Probleme oder Rückfragen zu alten Projekten, da hatte es sich als sinnvoll erwiesen, sie aufzuheben. In der Tat fanden sich die alten Kalender in Lüdersens Haus, allein der letzte fehlte. Erst heute Nachmittag waren die Unterlagen der LÜBAU und auch die persönliche Steuererklärung von Alfons Lüdersen für das vergangene Jahr aus dem Steuerberatungsbüro beim Betrugsdezernat eingetroffen. Lukas Weber nahm sich den Hefter für Juli aus Lüdersens Akte in der Hoffnung vor, darin vielleicht auf etwas Interessantes zu stoßen. Er arbeitete sich durch Rechnungen von Restaurants, die als Bewirtungskosten geltend gemacht worden waren, durch Tankquittungen und vieles andere mehr, doch er konnte nichts Auffälliges finden. Zuletzt blätterte Weber die Papiere eines nach dem anderen durch, als sein Blick schließlich an der Rückseite eines Tankbelegs hängen blieb. Es war eine Quittung vom 5. Juli, dem Tag also, an dem sich Lüdersen die zwei Millionen von seiner Bank hatte auszahlen lassen. Auf der Rückseite fand er eine handschriftliche Notiz: „18 Uhr D. J. Bode“ stand dort.
D. J. Bode? Diesen Namen hatte Weber heute Abend doch schon einmal irgendwo anders gelesen. Er wusste nur nicht mehr, in welchem der vielen Ordner es gewesen war. Der Kommissar wählte die Nummer der LÜBAU in der Hoffnung, dort noch jemanden erreichen zu können, aber außer dem Pförtner traf er niemanden mehr an. Nachdem Weber sein Anliegen vorgetragen hatte, suchte der Pförtner ihm die Privatnummer von Lüdersens Sekretärin heraus.
„Was kann ich für Sie tun, Herr Weber?“, fragte Frau Allert sehr freundlich. Sie schien trotz der späten Stunde noch nicht geschlafen zu haben.
„Sagt Ihnen der Name D. J. Bode etwas?“
„Herr Bode ist Inhaber der Firma bauconsult Bode und Unternehmensberatung in Rostock. Er ist ein Geschäftspartner der LÜBAU, wir haben einige größere Projekte für ihn ausgeführt.“
„Und womit beschäftigt sich seine Firma genau?“
„Die bauconsult ist eine Projektsteuerungs GmbH. Sie übernimmt die Organisation großer Bauvorhaben, ist sozusagen das Bindeglied zwischen den Investoren und den ausführenden Betrieben. In ihren Händen liegt das Kapital der Investoren, das sie dann an die einzelnen Gewerke vergibt.“
„Haben Sie die Adresse der bauconsult?“
„Im Büro schon, daher werde ich sie Ihnen nicht vor morgen früh heraussuchen können. Schneller wäre es über die Auskunft zu gehen, fragen Sie einfach nach der bauconsult in Rostock.“
Einen Anruf später hatte Weber Telefonnummer und Adresse der Firma notiert. Es war bisher nicht mehr als ein Verdacht, dass sich Lüdersen am Abend des 5. Juli mit Bode getroffen haben könnte, um diesem Geld für irgendein Geschäft zu übergeben. Doch er würde dieser Sache auf jeden Fall nachgehen.
Am nächsten Morgen öffnete Anna die Tür zu ihrem Büro mit gemischten Gefühlen. Wenn sie etwas nicht ausstehen konnte, dann war es Mitleid. Immer schon hatte sie gefunden, dass dieses Gefühl von den anderen abtropfte wie alter, schleimiger Kinderbrei aus der Tüte und den Bemitleidenswerten zäh übergoss. Wozu sollte das gut sein? Sie hoffte, die nächsten Minuten würden möglichst schnell vorübergehen.
Weber löffelte gerade Zucker in seinen Tee, als Günther Sibelius fragte: „Ist Ihr Mann schon unterwegs?“
Anna winkte ab. „Ich will den Kindern doch nicht den Urlaub verderben.“
Nein, sie würde Tom bestimmt nicht anrufen, um ihm von dem Überfall auf sie zu erzählen. Gestern Abend hätte er da sein müssen. Jetzt lag die Geschichte bereits hinter ihr, und ihre Wunden konnte sich Anna auch allein
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