Und jeder tötet, was er liebt
müssen. Erst heute Morgen hatte Anna eine Meldung im Radio gehört, die ihre Hoffnungen in Bezug auf ihren Chef mit einem Schlag zerstört hatte. Der Posten des Geschäftsführers beim HFC war neu besetzt worden, doch der Nachfolger von Udo Lanz hieß nicht Martin Kuhn, sondern Ulf Bauer. An die Nachrichten hatte sich ein kurzes Porträt über den neuen Mann angeschlossen. Ulf Bauer war fünfunddreißig Jahre alt, hatte bisher in einer Führungsposition bei einem deutschen Fitnessgerätehersteller gearbeitet und war dem Verein seit seiner Kindheit verbunden. Horst Moebus, der Präsident des HFC, schien gut gewählt zu haben. Nur, wenn dieser Posten beim HFC bereits vergeben war, von welcher Herausforderung redete dann Kuhn?
„Schade, dass Sie uns verlassen, Chef.“
Niemand zweifelte daran, dass Günther Sibelius wirklich meinte, was er gerade gesagt hatte. Vielleicht bedauerte er Martin Kuhns Entscheidung tatsächlich.
„Ist die Frage Ihres Nachfolgers denn schon geklärt?“
Lukas Weber war ein neugieriger Mann.
„Daran wird gerade gefeilt, aber die Behörde hat noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Es stehen zwei Kandidaten zur Wahl, von denen der eine aus Hamburg, genauer gesagt aus unserer Dienststelle kommt. Ich habe mich für ihn eingesetzt, denn ich halte ihn für einen fähigen Mann. Der andere Bewerber ist ein Mitarbeiter des BKA. Ich selbst werde meine neue Aufgabe übrigens auch in Wiesbaden wahrnehmen. Kollegen, vor Ihnen steht der designierte Pressereferent des Bundeskriminalamtes. Ich habe mich für die vakante Stelle beworben und die Herren dort von meinen Fähigkeiten überzeugen können. Ich weiß, dass meine Stärken in der Darstellung unserer Polizeiarbeit in den Medien liegen.“ Er lachte stolz. „Und wie es aussieht, war ich mit dieser Selbsteinschätzung nicht allein.“
„Herzlichen Glückwunsch, Herr Kuhn.“ Anna schüttelte ihm aufrichtig die Hand. Ihr Vorgesetzter hatte nach Höherem gestrebt und gewonnen. Durch welche Art von Beziehungen ihm das allerdings gelungen war, würde wohl sein Geheimnis bleiben. Martin Kuhn war ein Stehaufmännchen, vor einer Woche noch hätte Anna für seine Karriere keinen Pfifferling mehr gegeben. Zu eng waren seine Beziehungen zu Lüdersen gewesen, aber jetzt war er die Leiter weiter hinaufgefallen. Anna sah ihre eigene Freude in Webers Gesicht gespiegelt. Sie würden schweigen. Kein Wort würde über ihren Eindruck nach außen dringen, dass Martin Kuhn nicht immer das Seine dazu beigetragen hatte, Licht in den Mordfall Esther Lüdersen zu bringen.
„Ist Herr Lüdersen eigentlich noch bei uns?“
„Ja“, entgegnete Weber, „wir sind gerade auf dem Weg zu ihm. Bei der Last der gegen ihn vorliegenden Beweise wird sich auch ein Alfons Lüdersen nicht mehr so leicht herauslavieren können.“
Martin Kuhn zog die Augenbrauen hoch, auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Falte. Für einen Moment dachte Anna, dass er sich schützend vor seinen alten Kumpel stellen würde. Doch Kuhn schien klug genug zu sein, zu erkennen, dass er nichts mehr für Alfons Lüdersen tun konnte.
„Halten Sie mich auf dem Laufenden“, sagte er nur und verließ federnden Schritts das Büro.
„Guten Morgen, Herr Lüdersen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nacht.“
Alfons Lüdersen betrachtete sein Gegenüber. Hauptkommissar Sibelius machte einen so jovialen Eindruck, doch er war ein gefährlicher Mann.
„Danke der Nachfrage.“
„Fangen wir mit etwas ganz Einfachem an. Kennen Sie einen Herrn Dieter Josef Bode?“
Lüdersens Gesicht war auf einen Schlag ganz fahl geworden.
„Er war ein Angestellter der LÜBAU, aber das ist lange her. Soviel ich weiß, hat er sich vor einigen Jahren selbstständig gemacht.“
„Wissen Sie, in welchem Metier er nun arbeitet?“
„Ich nehme an, wieder in der Baubranche. Schließlich besitzt er einen großen Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet.“
„Ihr alter Kollege Bode besitzt ein Unternehmen mit dem schönen Namen bauconsult.“
„Ja, natürlich, ich habe davon gehört.“
„Sie haben nicht nur davon gehört, Herr Lüdersen, Sie haben Geschäfte mit der bauconsult gemacht.“
„Das ist schon eine Weile her.“
„Wir sind gestern in Rostock gewesen und haben ein Gespräch mit Herrn Bode geführt. Er war ausgesprochen hilfsbereit.“
Günther Sibelius nahm Bodes Aussage vom Schreibtisch und begann darin zu lesen.
„Er hat uns bestätigt, die zwei Millionen, über die wir Sie das letzte Mal
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