Und jeder tötet, was er liebt
Ich wollte ihn nicht enttäuschen.“
„Was haben Sie mit dem Finger gemacht?“
„Im Garten begraben, unter dem Sommerflieder. Und nun gehen Sie endlich los und finden den Teufel, der Esther und mir das angetan hat!“
Alfons Lüdersen bestritt weiterhin standhaft, mit dem Verbrechen an seiner Frau etwas zu tun zu haben. Gut möglich, dass man ihn tatsächlich erpresst und ihm den Finger als letzte Warnung geschickt hatte. Wahrscheinlich war auch Bode nicht der Erpresser gewesen, aber wer konnte dann der große Unbekannte sein? Wer hatte ein Motiv gehabt, sich so grausam an den Lüdersens zu rächen? Gleichwohl begann Anna, Alfons Lüdersen aus irgendeinem Grund zu glauben. Er war ein widerlicher Kerl, der seine Frau überhaupt nicht gekannt hatte. Wenn Lüdersen von seiner Liebe zu Esther sprach, hatte es für Anna so geklungen, als habe er überhaupt keine Ahnung davon, was Liebe eigentlich war. Dennoch schien er seine Frau wirklich zu vermissen und unter ihrem Tod zu leiden. Auch Ulrike Homberg besaß kein Mordmotiv. Sie liebte Alfons Lüdersen nicht genug, um auf eine gemeinsame Zukunft mit ihm gehofft zu haben. Die Kommissarin erinnerte sich an das letzte Zusammentreffen mit ihr, als sie gerade auf dem Weg zu einer Verabredung mit einem anderen Mann gewesen war. Theoretisch konnte natürlich auch Ulrike Homberg die Killer angeheuert haben, um sich ihrer Rivalin zu entledigen. Sie hatte die Gelegenheit und hätte Kontakt zu Holger Maiwald aufnehmen können, denn auch diese beiden waren einander auf dem Silvesterbankett beim HFC begegnet. Allein — dieser Theorie fehlte eine wesentliche Grundlage: tiefe, ehrliche, wenn auch verdrehte Gefühle. Nur, wer im näheren Umfeld der Lüdersens besaß sonst noch die Voraussetzungen dafür? Wer hatte ein wirklich starkes Motiv gehabt, Esther Lüdersen zu töten?
Tom Greve war mit dem Wagen zum Hafen von Nordby gefahren, um seinen Bruder von der Fähre abzuholen. Henry, der Terrier, lief nicht wie sonst in der Hoffnung hin und her, eine der vielen Möwen zu erwischen, die sich auf dem Parkplatz um die von Touristen liegen gelassenen Essensreste stritten. Heute saß er ruhig an Toms Seite, als würde er spüren, dass etwas nicht in Ordnung war.
Gerade näherte sich die kleine, weißgrün gestrichene Fähre dem Anlegeplatz im Hafen der Insel Fano. Die Überfahrt vom Festland auf der anderen Seite bis zur Insel dauerte nur eine halbe Stunde. In der Ferne konnte man von hier aus das Festland mit dem Hafen von Esbjerg und seinen Fischfabriken mit bloßem Auge erkennen. In den Sommerferien kam es hier oft zu kilometerlangen Staus, weil nahezu alle Ferienhäuser am gleichen Tag geräumt und wieder neu bezogen wurden. Wer sein Auto mitnehmen wollte, musste sich dann auf mehrere Stunden Wartezeit einstellen, allein als Fußgänger hatte man nie Probleme. Jan würde auf dieser Fähre sein.
„Lass uns spazieren gehen“, sagte Tom. „Ich muss noch meine Runde mit Henry machen.“
Schweigsam schlugen die Brüder den Weg zum Strand ein.
„Ich habe eine Frage“, begann Tom schließlich, „und ich möchte, dass du sie mir ehrlich beantwortest. Hast du ein Verhältnis mit Anna?“
Jan hatte gerade eine Messermuschel vom Boden aufgehoben und drehte sie nun so lange zwischen seinen Fingern hin und her, bis sie ihm aus der Hand glitt und zerbrach.
„Was soll das Tom? Ich mag Anna sehr, aber sie ist immer tabu für mich gewesen.“
„Also bist du nicht der große Unbekannte?“
„Wir haben das wirklich nicht gewollt, es ist einfach passiert.“
Jetzt nahm Jan das wütende Funkeln in den Augen seines Bruders wahr und sprach nicht weiter.
„Was meinst du?“
„Es ist nur ein einziges Mal gewesen, und ich glaube nicht, dass es für Anna eine größere Bedeutung hatte.“
Toms Arme sanken nach unten, diese Geschichte würde sich nicht durch ein paar Schläge lösen lassen.
„Warum ausgerechnet meine Frau? Bei deinem Job mangelt es dir doch sicher nicht an attraktiven Angeboten.“
„Anna ist anders, ich habe mich schon in sie verliebt, als du sie zum ersten Mal mit nach Hause gebracht hast. Da war ich nicht mehr als ein pubertierendes Bürschchen. Aber ich wusste immer, dass ich gegen dich keine Chance hatte.“
„Und deshalb musstest du dich nach all der Zeit revanchieren?“
„Das stimmt so nicht, Tom. Du hast gewonnen, Anna wird dich nicht verlassen. Sie liebt dich trotz allem.“
„Ich bin zu dir auf deinen beschissenen Fußballplatz gekommen, um über
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