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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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angehört, als habe Wilfried Hinrichs über die Eskapaden seines Schwiegersohnes Bescheid gewusst. Mittlerweile gab es schon allein durch die Existenz von Ulrike Homberg keinen Zweifel mehr daran, dass Esther von ihrem Mann Alfons betrogen worden war. Aber sie schien gelernt zu haben, mit dieser Tatsache zu leben. Hatte ihre Mutter Johanna die gleiche Prüfung in ihrer Ehe erfahren? War sie darüber krank geworden? Hatte Johanna deshalb diese ganzen Psychopharmaka eingenommen? War das die Parallele zwischen Mutter und Tochter, waren sie beide von ihren Partnern betrogen worden?
    Tiefe Gefühle, zerstörerische Gefühle, grübelte Anna weiter. Oder war alles ganz anders gewesen? Hatte Johanna wie auch Esther einen Menschen in ihrer Nähe enorm verletzt? So tief verletzt, dass er sich dafür gerächt hatte? Anna stand auf und ging zum Fenster hinüber. Sie nahm die grüne Plastiksprühflasche von der Fensterbank, dann stellte sie sie wieder zurück. Vielleicht hatte Weber doch recht, und sie war gerade drauf und dran, hier eine Geschichte zu konstruieren und sich in sie hineinzusteigern.
    Andererseits gab es nun konkrete Aussagen über das Leben von Johanna Hinrichs. Und eins war sicher: Es gab eine Ähnlichkeit zwischen Johanna und Esther, die sich auf ihre unglücklichen Partnerschaften zurückführen ließ. Hierin lag der Zusammenhang von Esthers und Johannas Leid. Wieder versuchte sich Anna an diesen einen Satz von Wilfried Hinrichs zu erinnern. „Für den einen mag es gerade noch erträglich sein, wenn er von seinem Partner hintergangen wird, und für den anderen bedeutet es das Ende des gemeinsamen Weges.“ So ungefähr war sein Wortlaut gewesen. Was bedeutete eigentlich „das Ende des gemeinsamen Weges“? Hatte Wilfried Hinrichs damit eine Trennung gemeint? Oder könnte „das Ende des gemeinsamen Weges“ sogar auch den Tod des Partners bedeuten? Und wer war hier überhaupt gemeint gewesen? Hatte Wilfried Hinrichs über das Leben seiner Tochter Esther gesprochen, über das seiner Frau Johanna, über ihrer beider Leben oder am Ende gar über sein eigenes?
    Sicher, Johanna Hinrichs war herzkrank gewesen. Doch der Zweifel eines erfahrenen Hausarztes an der Todesursache seiner Patientin war eigentlich Grund genug, die sterblichen Überreste von Johanna Hinrichs trotzdem noch einmal genauer untersuchen zu lassen. Aber würde man nach so vielen Jahren überhaupt die Todesursache noch zweifelsfrei klären können? Wenn sie den Leichnam exhumierten, würden sie wohl nicht viel mehr als ein paar Knochen finden. Und selbst wenn es den Rechtsmedizinern gelingen sollte, in den sterblichen Überresten von Johanna Hinrichs eine tödliche Substanz nachzuweisen, war damit noch immer nicht bewiesen, ob sie sie selbst eingenommen oder jemand anderer sie ihr gegen ihren Willen und ohne ihr Wissen verabreicht hatte. Der einzige Mensch, der Anna in ihren Überlegungen weiterhelfen konnte, schien wieder einmal Wilfried Hinrichs zu sein, doch sie rechnete auch dieses Mal nicht mit seiner Kooperationsbereitschaft. Dafür erinnerte sie sich noch viel zu gut an seine Feindseligkeit, als sie in einem ihrer Gespräche versucht hatte, etwas über dieses Thema in Erfahrung zu bringen. Wilfried Hinrichs schien sich schon seit langer Zeit dafür entschieden zu haben, über die Umstände, die zum Tod seiner Frau Johanna geführt hatten, zu schweigen.
    Dabei schien es Anna, als habe sie jetzt auch ohne seine Hilfe einen ersten Zugang zu der Nähe zwischen Esther Lüdersen und ihrer Mutter Johanna bekommen. Mittlerweile war sie sicher, dass alle beide in unglücklichen Partnerschaften gefangen gewesen waren. Aber gab es darüber hinaus vielleicht noch einen weiteren Zusammenhang zwischen ihrer beider Unglück? Gut, sowohl Esther als auch Johanna schienen nicht unbedingt ausgeglichene Charaktere besessen zu haben. Mehr noch, wer Psychopharmaka über so lange Zeit hinweg in so hoher Dosierung einnahm, wie Johanna Hinrichs es getan hatte, musste ein ziemlich unglücklicher Mensch sein. Und auch Esther Lüdersen hatte in ihrem Leben wohl mehr als eine psychische Krise hinter sich gebracht. Doch waren sie einander so ähnlich gewesen, dass Esthers gewaltsamer Tod als eine Folge ihrer Prägung durch die Mutter in der Kindheit angesehen werden konnte? Nein, an Esther Lüdersens Todesursache gab es keinerlei Zweifel. Sie hatte sich nicht selbst getötet. Sie war auf grausame Weise ermordet worden, nur deshalb saß Anna Greve hier vor diesen Akten

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