Und jeder tötet, was er liebt
zarten Statur passte. Sie lief zum Haus zurück, doch die Tür war durch einen plötzlichen Windstoß ins Schloss gefallen.
Jetzt öffnete sich das Schlafzimmerfenster ihrer Nachbarin.
„Frau Hinrichs, rufen Sie die Polizei an! Hier in unserem Vorgarten liegt eine Leiche.“
Dora war außer sich vor Wut, denn Herbert, ihr Mann, hatte wieder einmal nichts gehört. Von den wichtigen Ereignissen im Wegert’schen Haushalt bekam er wirklich nie etwas mit.
Über der Kastanie, drüben im Osten, zeigten sich die ersten Sonnenstrahlen. Zauberten dieses Lächeln auf Annas Gesicht, dass Tom so an ihr liebte. Er lag noch neben ihr und träumte. Die beiden lebten in verschiedenen Welten, auch weil Tom als Besitzer einer kleinen Druckerei oft nachts arbeitete. Zweimal wöchentlich wurde in deren Geschäftsräumen eine Regionalzeitung produziert. In diesen Nächten wurde jeder Mann gebraucht, also blieb er ebenso dort und packte mit an. Wenn er schlief, war er wie früher: ihr Tom. Anna streichelte ihm zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn, er war warm und roch so gut, sein Duft erinnerte sie immer an Orangen. Eine Kleinigkeit, ihn zu wecken. Sie überlegte gerade, ob sie es tun sollte, als das Telefon klingelte.
„Frau Greve, es gibt Arbeit. In der Cranachstraße ist eine Tote gefunden worden.“
Martin Kuhn, der Leiter der Mordkommission, war am anderen Ende der Leitung.
„Ich möchte, dass Sie sofort herkommen und die Zeugenbefragungen übernehmen.“
Als Anna Greve in die Cranachstraße einbog, kam ihr der Leichenwagen bereits entgegen. Der Fundort war nicht weit entfernt von der Autobahnauffahrt zur A7 in Hamburg-Bahrenfeld. Die Straße lag in einer bürgerlichen Wohngegend, nicht gerade die erste Adresse im feinen Hamburger Westen, aber durchaus respektabel. Sie ärgerte sich, dass man die Tote noch vor ihrem Eintreffen abtransportiert hatte. Nun war es zu spät, selbst einen Blick auf den Fundort zu werfen. Als neue Mitarbeiterin war man üblicherweise als Erste vor Ort, erst recht an einem so frühen Feiertagsmorgen. Was hatte den Chef nur dazu veranlasst, selbst zu übernehmen? Martin Kuhn hatte es nicht nötig, sich ihr gegenüber zu profilieren. War er etwa persönlich an dem Fall interessiert? Schluss damit, du siehst schon Gespenster. Nichts ist ungewöhnlich, beruhigte sie sich, doch insgeheim wusste sie, dass das nicht stimmte. Irgendetwas am Verhalten ihres Chefs war zumindest seltsam.
„Guten Tag, Frau Wegert. Mordkommission, Anna Greve.“
„Oh, mein Gott, ich muss unbedingt meine Tochter anrufen, damit sie später kommt. Das arme Kind soll dies hier nicht auch noch sehen“, seufzte Dora Wegert. „Eine furchtbare Geschichte. Und außerdem bekommen wir bald Gäste, und ich habe noch so viel vorzubereiten.“
Was sollte es hier noch zu sehen geben? Die Tote war schließlich schon fortgebracht worden. Anna bemühte sich um Höflichkeit gegenüber dieser Frau, die perfekt geschminkt in einem leichten Sommerkleid vor ihr stand. Von der Tatsache, dass sie eine Tote gefunden hatte, schien sie offenbar nicht sonderlich berührt zu sein.
„Wann haben Sie die Frau bemerkt?“
„Heute früh, so um 4:30 Uhr. Ich war in der Küche, weil ich nicht schlafen konnte, als ich unseren Hund im Garten hörte. Als ich die Tür öffnete, um ihn zu rufen, sprang er auch schon mit diesem dreckigen Schuh in der Schnauze an mir hoch. Widerlich.“
Unruhig trat sie von einem Fuß auf den anderen.
„Wie kommt es, dass Sie mitten in der Nacht wach geworden sind? Hatten Sie etwas Außergewöhnliches gehört?“
„Nein, von Zeit zu Zeit leide ich unter Schlaflosigkeit. Dann hilft mir manchmal eine gute Tasse Tee. Ich mache ihn selbst, wissen Sie, mit meinen eigenen Kräutern aus dem Garten.“
Anna versuchte, ihre Enttäuschung hinunterzuschlucken.
„Überlegen Sie noch einmal, Frau Wegert. Haben Sie vielleicht ein lautes Anfahrgeräusch bemerkt, quietschende Reifen, schlagende Autotüren oder Ähnliches?“
„Das ist hier bei diesem Verkehr auf der Hauptstraße doch ganz normal. Gerade Samstagnacht, wenn die jungen Leute aus der Disko oder Gott weiß woher kommen, wird wenig Rücksicht auf schlafende Mitbürger genommen. Was glauben Sie, was hier manchmal los ist, seit die Straße verbreitert wurde.“
Sie zog verächtlich die Augenbrauen hoch, Anna hatte das richtige Thema angesprochen.
„Wer kommt mir jetzt eigentlich für den Schaden auf? Der Jägerzaun ist an zwei Stellen gebrochen ... und meine
Weitere Kostenlose Bücher