Und jeder tötet, was er liebt
kehren gut.“
Dr. Severin war ein attraktiver Mann, Anna schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Ihm schien der Geruch der Toten offensichtlich nicht den Appetit zu verderben.
„Dann schauen wir mal, was wir hier haben.“
Er las den am linken großen Zeh der Leiche befestigten Zettel, schob sich das letzte Stück Brot in den Mund und schaltete das Diktiergerät ein.
„Weibliche Leiche, Identität unbekannt, gefunden gestern Morgen gegen 4:30 Uhr in der Cranachstraße. 164 cm groß, 78 kg schwer, zirka 55 Jahre alt. An der Stirn befindet sich ein Einschussloch, kleinkalibrige Waffe. Unauffälliges Gebiss, bis auf zwei fehlende Glieder am kleinen Finger der linken Hand keine besonderen Kennzeichen. Sehen wir, was sie uns erzählt, wenn wir sie aufmachen.“
Das Gehirn wies keine Anomalien auf, bewegte sich, was Größe und Gewicht betraf, im normalen Bereich. Er nahm ein großes Skalpell und begann, die Brusthöhle zu öffnen.
„Hier haben wir das Herz, unauffällig, die Lunge dito ...“, ein weiterer Schnitt, „... die Leber ist stark geschädigt und deutet auf Hepatitis, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch hin. Am kleinen Finger der linken Hand befindet sich eine Bisswunde, diese ist wahrscheinlich erst nach ihrem Tod entstanden. Ich denke aber, dass schon vorher ein Teil dieses Fingers gefehlt hat. Hier, an der Seite, sehen Sie noch den glatten Schnitt. Auf keinen Fall ist das in einem Krankenhaus gemacht worden, darauf lässt auch die unfachmännische Versorgung des Stumpfes schließen.“
Ein Stück Müllbinde war um den Fingerrest herumgeschlungen. Die Wunde war weder desinfiziert noch gesäubert worden, sodass an ihren Rändern eine eitrige Entzündung entstanden war.
„Glauben Sie, das war das Vorspiel zum Mord?“
„Könnte ich mir schon vorstellen.“
Er sah sich die Kopfwunde genauer an. „Die Todesursache ist auf jeden Fall der Kopfschuss gewesen.“
Als Anna das Gebäude verließ, dachte sie, dass es für alles ein erstes Mal gab. Dr. Severin war ein sympathischer Kerl.
George Raimov kroch auf den Knien und wischte den Kellerboden, so gut es ging, sauber. Die wenigen Geschirrhandtücher würden kaum ausreichen, um all das Blut zu beseitigen. George begann, den Lappen auszuwringen. Das Wasser im Eimer färbte sich rot. Natürlich, er arbeitete in einem harten Geschäft, da durfte man nicht zimperlich sein. Trotzdem, George hatte der Frau versprochen, sie zu beschützen. Sie war eine warme, eine kluge Frau gewesen, die erste, die ihm leidgetan hatte. Mit ihrem Geld hätte er vielleicht einen neuen Anfang machen können. Und sie hatte viel mehr bekommen als nur einen Denkzettel. Erpressung oder Auftragsmord? Worum war es eigentlich gegangen bei dieser Sache? Wütend schmiss George das Handtuch in den Eimer zurück, immer musste er die Drecksarbeit machen. Beim nächsten Mal würde er sich das nicht mehr gefallen lassen. Alexander musste endlich begreifen, dass sie Partner waren. Ansonsten würde sich George von Alex trennen. Sollte der sich doch einen anderen Dummen suchen.
Anna Greve saß in ihrem Auto und wählte die Handynummer des Nacktmulches.
„Weber, wie weit sind Sie?“
„Die Vermutung des Chefs hat sich bestätigt. Die Tote heißt Esther Lüdersen, ist siebenundfünfzig Jahre alt und wohnte in der Karl-Jacob-Straße in Nienstedten. Sie war mit Alfons Lüdersen verheiratet, seines Zeichens Bauunternehmer und ein Fußballfreund von Kuhn. Er war am Montag vor einer Woche, am 5. Juni, gegen 15:30 Uhr in der Wache am Blomkamp und hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Ich wollte gerade zu ihm fahren, am besten, wir treffen uns vor Lüdersens Geschäft in der Amsinckstraße.“
„Ich komme direkt dorthin, bis gleich.“
Anna fuhr durch die sommerliche Stadt. Selten war das Wetter um diese Jahreszeit so gut wie in den letzten Tagen. Die Menschen flanierten durch die Straßen oder saßen in Cafés unter freiem Himmel. Viele Touristen waren in der Stadt und verhielten sich wie überall auf der Welt, sie behinderten den Straßenverkehr. Am Baumwall musste sie lange an einer Baustelle warten. Würde Tom um diese Zeit nicht schon zu Hause sein? Wahrscheinlich saß er gerade mit den Jungen bei den Hausaufgaben. Anna griff zum Telefon und wählte seine Nummer.
„Greve.“
Wie schön es war, seine Stimme zu hören.
„Hallo, ich bin’s, wollte nur schnell wissen, wie es bei euch geht.“
„Du meinst wohl ohne dich? Wir kommen in unserer Männerbude wunderbar klar, mach dir mal
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