Und jeder tötet, was er liebt
Pullovers gewesen ist, guter Mann.“
„Grau, glaube ich, wie der ganze Kerl. War so’n Beamtentyp.“
Er riskierte einen frechen Blick zu Lukas Weber.
„Und so einer begibt sich zum Hinterausgang des Hauptbahnhofs, um einem wie Ihnen eine Lederjacke für zehn Euro zu verkaufen? Sie müssen schon etwas genauer werden, wenn wir Ihnen das abnehmen sollen. Am besten, Sie überlegen noch einmal in aller Ruhe, wie der Mann ausgesehen hat.“
„Von mir aus.“ Michael Schmidt wirkte nicht gerade geknickt bei der Aussicht auf eine Nacht im Gefängnis. Er war zurzeit ohne festen Wohnsitz und nahm anscheinend nicht ungern die Gelegenheit wahr, dort in Ruhe zu duschen, etwas zu essen und in einem richtigen Bett zu schlafen.
Lukas Weber drehte sich zu seinen Kollegen und sagte leise: „Bis morgen müssten wir die Laborergebnisse haben. Sollte es sich bei dem Fleck tatsächlich um das Blut von Olaf Maas handeln, können wir ihn richtig unter Druck setzen.“
Warum gelang das Unter-Druck-Setzen bei allen Verdächtigen, nur nicht bei Alfons Lüdersen, dachte Anna erschöpft. Laut sagte sie: „Was ist, wollen wir in die Kneipe?“
Das italienische Restaurant war zwar eine Trattoria, doch diese als Kneipe zu bezeichnen, kam beinahe schon einer Beleidigung gleich. Es ging hier anders zu als in einem vornehmen Restaurant, so gab es zum Beispiel auch keine Tischwäsche und Servietten aus feinem Damast. Das Essen hätte allerdings mühelos mit einem Sterne-Gourmet-Tempel mithalten können. Enzo, der Wirt, war ein ausgesprochen freundlicher Mann, der es einem leicht machte, sich wohlzufühlen. Allerdings hatte es Anna heute schwer, sich zu entspannen. Viele Gedanken spukten ihr noch immer im Kopf herum, die meisten davon betrafen den Fall.
„Wir müssen unbedingt Kontakt zur Zürcher Nationalbank aufnehmen, Kollegen. Wenn es nicht bereits zu spät ist und Lüdersen alle Spuren verwischt hat. Außerdem sollten wir jetzt eine Revision bei der LÜBAU in Gang bringen. Alfons Lüdersens Gedanken drehen sich um Einfluss und Reichtum, und auf dieser Ebene könnte auch sein Motiv liegen. Er fürchtet nichts mehr als den Verlust seiner Macht. Wir müssen endlich einen Hinweis darauf finden, dass er zum Zeitpunkt der Entführung seiner Frau wirtschaftlich in Schwierigkeiten gesteckt hat.“
Weber und Sibelius sahen einander an.
„Ich dachte, wir wollten wenigstens für heute Abend die Arbeit Arbeit sein lassen und uns ein bisschen amüsieren“, erwiderte Günther Sibelius freundlich.
„Schon gut“, meinte Weber. „Frau Greve hat recht, Lüdersens wirtschaftliche Situation ist ein wichtiger Punkt. Durch seine Betrügereien mit Udo Lanz haben wir jetzt die Handhabe, auch gegen seinen Willen die Liquidität der LÜBAU zu checken. Obwohl ich Ihre Schlussfolgerungen letztendlich nicht unbedingt teile, Anna, glaube ich auch, dass der Lüdersen etwas zu verbergen hat.“
„Wollen Sie heute gar nichts essen, Commissario?“ Enzo war gerade an ihren Tisch gekommen. Der Wirt guckte Lukas Weber an, denn der ließ sich meistens zu einem leckeren Imbiss überreden, auch wenn er bereits in der Kantine gegessen hatte. Die beträchtlichen Mengen, die Weber jeden Tag vertilgte, waren seiner Figur erstaunlicherweise nicht anzusehen.
„Ich kann Ihnen das Vitello Tonnato empfehlen. Es ist heute Nachmittag zubereitet worden, also jetzt gerade gut durchgezogen, und die Kapern sind frisch, nicht aus dem Glas.“
„Hört sich verführerisch an, ich nehme eine Portion. Wie ist es mit Ihnen?“
„Für mich bitte die kleine gemischte Vorspeise vom Buffet“, sagte Anna, die eigentlich gar keinen Hunger hatte.
„Und einmal Saltimbocca alla romana für mich.“
Anna hatte nicht lange bleiben wollen, doch nun saßen sie beim Essen und sie langte begeistert zu. Weber, der ihr gegenübersaß, tunkte einige Weißbrotstücke in die Reste seiner Thunfischsoße.
„Dieser Junge könnte Olaf Maas umgebracht haben“, sagte er, während er genüsslich den letzten Brocken Brot kaute. „Damit würde sich das Verbrechen dann wirklich als das offenbaren, was es von vornherein zu sein schien: ein Raubmord in der Szene.“
„Und wie passt Esther Lüdersen in Ihr Konzept?“, fragte Anna.
„Wahrscheinlich war der Mord an Maas ein Zufall, und wir sind nur durch den zeitlichen Zusammenhang auf eine falsche Spur geraten. Seit heute glaube ich immer weniger, dass beide Verbrechen in ein und demselben Kontext stehen.“
„Bei Mord gibt es keine Zufälle,
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