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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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interessierte.
    „Ich meine, ob Sie schon einmal etwas von ihm gelesen haben?“
    „Oh ja.“ Sie kramte in ihrem Gedächtnis. „Da sind die Theaterstücke, vor allem ,Die Möwe‘ mag ich sehr. Vor Kurzem gab es eine Aufführung im Schauspielhaus, die hat mir sehr gefallen.“
    „Und die Kurzgeschichten?“
    Weber wirkte unruhig, und Anna fragte sich gerade, warum.
    „Ja, ich liebe ,Die Dame mit dem Hündchen‘.“
    „Michael Antonowich hat mir zum Abschied ein Buch mit Erzählungen von Čechov geschenkt, und ich habe auf dem Rückflug darin geblättert. Am ,Flattergeist‘ bin ich hängen geblieben. Kennen Sie die Geschichte?“
    „Ich erinnere mich nicht.“
    „Als ich erst einmal damit angefangen hatte, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. So etwas ist mir mit einem Buch seit meiner Kindheit nicht mehr passiert. Es geht um eine junge, unstete Dame mit einer Neigung zu den schönen Künsten, vor allem aber zu den sie ausübenden Künstlern. Sie heiratet einen wesentlich älteren, etwas langweiligen, doch gutmütigen Arzt, der am Ende stirbt. Die Frau erkennt erst, nachdem er nicht mehr da ist, wie wichtig er für sie gewesen ist. Erst durch sein Sterben ist ihr bewusst geworden, wie sehr sie ihn geliebt hat.“
    „Hört sich interessant an.“ Anna überlegte, ob sie wollte, dass er weiterredete.
    „Da lebt man jahrelang neben einem Menschen her. Die Zeit, in der man glücklich sein könnte, fliegt vorbei, und ehe man sich versieht, ist sie unwiederbringlich vergangen. Ich finde das ziemlich traurig.“
    Traurig war er wohl vor allem wegen sich selbst, dachte Anna. Gern hätte sie ihn getröstet, doch sie wusste nicht wie.
    „Manchmal berühren die Gedanken oder Geschichten anderer Leute das eigene Leben“, entgegnete Anna aufs Geratewohl.
    Sie fragte sich, warum es den meisten Menschen, sie selbst eingeschlossen, nur so schwerfiel, das wertzuschätzen, was sie von ihren Partnern bekamen.
    Und hätte in diesem Augenblick Alfons Lüdersen das Gespräch von Anna und ihrem Kollegen mit anhören können, er hätte Weber wahrscheinlich uneingeschränkt zugestimmt. Beschäftigten ihn doch gerade ganz ähnliche Gedanken und die Erkenntnis, dass er sein Glück in den guten Zeiten mit Esther viel zu wenig genossen hatte.
    Gerade hatte Weber vor dem Haus von Olaf Maas eine Parklücke entdeckt und stellte den Wagen nun dort ab.
    „Lassen Sie uns am Abend darüber weiterreden, Weber.“
    Anna war froh darüber, dass Weber für den Moment keine Gelegenheit mehr hatte, seine privaten Gedanken vor ihr auszubreiten. Dabei konnte sie eigentlich gar nicht sagen, dass seine Bemerkungen befremdlich für sie gewesen waren. Vielleicht war es sogar eher das Gegenteil, die mögliche Nähe, die sich für einen Augenblick zwischen ihnen aufgetan hatte. Bis vor Kurzem war Weber für sie nur der Nacktmulch gewesen, mittlerweile fand sie ihn ganz sympathisch, aber mehr auch nicht. Anna Greve war kein Mensch, der schnell Freundschaften schloss. Schon gar nicht mit ihren Arbeitskollegen.
    Lukas Weber stieg vor Anna die vielen Treppenstufen in den dritten Stock hinauf und ärgerte sich. Blöde Kuh, dachte er. Die Geschichte mit dem „Flattergeist“ war ihm eben einfach so herausgerutscht. Warum eigentlich? Es kam selten vor, dass er wildfremden Leuten einen Einblick in seine Gefühlswelt gab. Und schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine Frau handelte. Weshalb es trotzdem gerade geschehen war, vermochte Weber nicht zu sagen. Eigentlich war die Greve ja eine arrogante Zicke, auch wenn sie ab und zu ganz nett sein konnte, solange sie wollte. Nun wünschte er sich jedoch, dass dieses Gespräch vorhin im Auto nie stattgefunden hätte. In Zukunft würde sich Weber besser unter Kontrolle haben und aufpassen, dass so etwas nicht noch einmal geschah.
    Die Wohnung von Olaf Maas befand sich noch immer im gleichen, trostlosen Zustand wie bei ihrem ersten Besuch. Der Papierstapel auf dem Couchtisch war allerdings mittlerweile beiseite geräumt worden. Anna bückte sich, um noch einmal unter dem Sofa nachzusehen, ohne Erfolg. Es gab kein Schränkchen, keine Abstellfläche, die nicht schon untersucht worden wäre. Nein, auch wenn Anna nach wie vor das Gefühl nicht losließ, dass hier etwas fehlte, in diesen Räumen gab es nichts mehr zu finden.
    Im Büro zurück trafen die beiden Polizisten auf Dr. Baumhöfner, der gerade dabei war, die Entlassungspapiere für Alfons Lüdersen zu unterschreiben.
    „So, das wäre erledigt“, sagte

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