Und jeder tötet, was er liebt
er mit einem Blick zu Günther Sibelius. „Wenn ich nun bitten darf, meinen Mandanten herbringen zu lassen. Herr Lüdersen wird bestimmt keinen Wert darauf legen, Ihre Gastfreundschaft länger als unbedingt nötig zu genießen.“
Anna brauchte dringend frische Luft. Sie überquerte den Parkplatz vor dem Präsidium und setzte sich in ihren Dienstwagen. Einem Impuls folgend wählte sie die Nummer von Jan. Er meldete sich sofort.
„Wo hast du gesteckt?“
„Ich bin in London gewesen.“
„Hast du dich schon bei Tom gemeldet?“
„Ich komme heute Abend vorbei, um mich von euch zu verabschieden.“
„In Hamburg hat es dir doch gut gefallen, im Verein meine ich.“ Anna bewegte sich auf unsicherem Terrain.
„Die vergangene Saison war sehr erfolgreich, andere Klubs sind auf mich aufmerksam geworden. Mein Marktwert ist zurzeit so hoch, wie er wohl nie mehr sein wird. Deshalb habe ich jetzt die Gelegenheit, viel Geld zu verdienen. Außerdem interessiert es mich sehr, für eine Weile in London zu leben.“
„Du wirst doch Tom nichts von uns erzählen, oder?“
„Da gibt es nichts zu erzählen.“
Anna war erleichtert, auch wenn sein letzter Satz ein wenig an ihrer Eitelkeit kratzte. Sie hatten den Zeitpunkt für eine Affäre verpasst, und Anna konnte nicht sagen, ob sie das freute oder ob sie es bedauerte. Alles war möglich gewesen.
„Bis heute Abend. Bitte warte auf mich, ich komme wohl etwas später.“
Als sie wieder in ihrer Dienststelle eintraf, stellte sie mit Erleichterung fest, dass Alfons Lüdersen in der Zwischenzeit gegangen war. Gerade klingelte ihr Dienstapparat.
„Guten Tag, Frau Greve, Ilona Werner von der Bahnhofspolizei am Hauptbahnhof. Wir haben hier einen Jungen auf der Wache, der des Diebstahls bezichtigt wird. Es geht dabei um eine dunkelgrüne Lederjacke.“
„Und?“
Seit wann waren sie eigentlich auch für solche Lappalien zuständig?
„Ein Herr Walter Reimers hat uns alarmiert. Der Mann behauptet, Sie zu kennen. Er hat eben diese Jacke als das Eigentum seines Freundes wiedererkannt und meinte, Sie müssten unbedingt informiert werden, da dieser Freund ermordet worden sei. Herr Reimers ist mit einer solchen Vehemenz zu Werke gegangen, dass ich mir dachte, ich rufe Sie kurz an.“
„Das haben Sie gut gemacht, Frau Werner, wir kommen sofort.“
„Weber, wir müssen los.“
Zwanzig Minuten später betraten die beiden Kommissare die Dienststelle am Hauptbahnhof, wo ein ziemlich aufgeregter Walter Reimers auf sie zukam.
„Frau Greve, hier, sehen Sie, das ist die Jacke von Olaf. Der Lümmel soll mir sagen, wo er die herhat.“
Er zeigte dabei auf einen jungen Mann, dem zwischen den beiden ihn flankierenden Streifenpolizisten sichtlich unbehaglich war.
„Weiß gar nicht, was der Alte da faselt, der hat sie doch nicht mehr alle.“
Er zeigte Walter Reimers einen Vogel.
„Der Reihe nach“, versuchte Anna, Ruhe in die Situation zu bringen. „Können Sie Ihren Verdacht beweisen, Herr Reimers?“
„Natürlich, sonst würde ich doch keinen solchen Aufstand machen. Hier, dieses Zeichen am Revers von der Hamburger Tafel, das trug Olaf genau an der gleichen Stelle.“
„Die Sticker sind uns in der ganzen Stadt hinterhergeschmissen worden. Ich habe sogar drei davon.“ Der Junge setzte nach: „Und einen habe ich an meine Jacke gepinnt.“
„Und wo kommt dieser rote Strich hier her?“
Walter Reimers zeigte auf einen roten Farbrest auf dem rückwärtigen unteren Teil des Kleidungsstückes.
„Was weiß ich.“
„Du weißt es nicht, aber ich, weil ich nämlich dabei gewesen bin, als es passiert ist. Olaf hat sich auf eine frisch gestrichene Bank gesetzt und dabei ist Farbe an seiner Jacke kleben geblieben. Wir haben noch versucht, das Zeug wieder abzukriegen, aber es ging nicht.“
„Herr ...“, die Kommissarin sah wieder den Jackenträger an, „wie war Ihr Name?“
„Michael Schmidt.“
„Seien Sie so nett, Herr Schmidt, und überlassen Sie mir doch Ihre Jacke einmal für einen Moment.“
„Muss ich das?“
„Sie wollen den Vorwurf von Herrn Reimers doch bestimmt aus der Welt schaffen.“
Alle Augen richteten sich nun auf den jungen Mann, dem daraufhin nichts anderes übrig blieb, als die Jacke auszuziehen und sie Anna zu geben.
Die Kommissarin betrachtete sie aufmerksam und erinnerte sich. Genauso eine hatte Olaf Maas getragen, aber es war kein besonderes Modell gewesen, sondern eine Allerweltsjacke. Wie viele dieser Art mochte es wohl in Hamburg
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