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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Ostbahnhof und höre Dir an, was Roszek erzählt. Er wird Dir alles genau erklären. Indem ich Dir im voraus für Deine Güte danke, bin ich, liebe Valerie, immer Dein alter Daniel.‹« Manuel sah auf und in Irenes Augen. »Nicht«, sagte er hastig. »Weinen Sie nicht schon wieder, bitte!«
    »Es ist so … so unheimlich … Was soll ich tun?«
    »Zum Ostbahnhof fahren, natürlich«, antwortete Manuel. »Wir werden hören, was dieser Roszek zu sagen hat.«
    »Sie wollen mit mir …«
    »Natürlich. Wieso? Oh, entschuldigen Sie. Wollen Sie lieber allein …«
    »Aber nein«, sagte Irene, und ihre Augen schimmerten feucht, »ich danke Ihnen, wenn Sie mich begleiten, ich danke Ihnen überhaupt dafür, daß Sie mir jetzt so beistehen, Herr Aranda.«
    »Und ich danke Ihnen«, sagte er leise. Der Staubsauger brummte laut. »Das ist aber nicht Agnes«, sagte Manuel schnell und verlegen.
    »Wie?«
    »Die Frau nebenan. Die mir die Tür geöffnet hat. Das ist nicht Agnes Peintinger … oder?«
    »Nein.« Irene sah ihn noch immer an. »Das ist Frau Körner. Sie kommt dreimal wöchentlich und macht die Wohnung sauber, schon seit vier Jahren.«
    »Wieso? Ist Agnes Peintinger tot?«
    »Nein«, sagte Irene. »Aber sie mußte vor vier Jahren in ein Altersheim ziehen. Sie konnte nicht mehr arbeiten und auch nicht für sich selber sorgen. Es geht ihr gut im Heim. Ich besuche sie regelmäßig, einmal in der Woche. Auch Valerie …« Irene brach ab.
    »Agnes weiß noch gar nichts?«
    »Nein.«
    »Aber wie ist das möglich?«
    »Sie weiß es nicht, sie wird es nie wissen, nie zur Kenntnis nehmen«, sagte Irene Waldegg. »Sie lebt, körperlich noch sehr gesund für Ihr Alter, glücklich und vergnügt – in einer anderen Welt.«
    »Was heißt das?«
    »Sie ist in diesen letzten vier Jahren senil geworden. Vollkommen. Deshalb war sie auch nicht bei dem Begräbnis. Weil sie nichts mehr begreift von dem, was um sie vorgeht.«

5
    Sechzehn bunte Karussellpferde standen in den Zimmern, auf Gängen, auf Treppenabsätzen. Es gab vier Jahrmarktsorgeln, mindestens zwei Meter breit und ebenso hoch. Es gab menschengroße Panoptikumspuppen – eine Wasserleiche im Smoking, eine Blumenfrau (mit einem Korb voller Wachsblumen), einen Rauchfangkehrer, einen Metzger, einen Polizisten, einen Boy ebenso wie Bardamen und Strichmädchen, die allesamt in den verschiedensten Zimmern standen oder auf kostbaren Stühlen thronten.
    Es gab Hunderte von wunderbaren Muscheln, Steinen und Trachtenpuppen aus der ganzen Welt in Wandregalen, die in allen Räumen und im Stiegenhaus angebracht waren. Neben Kostbarkeiten gab es herrlichen Kitsch: Nippesfiguren, Hunde, Katzen, Vögel, Schäferinnen aus Porzellan. Es gab eine Pfeifensammlung, eine Sammlung großer und kleiner Buddhas. Es gab, in Kästen geschützt, die phantastischsten Arrangements leuchtend bunter Schmetterlinge. Auf Tischen lagen mit den Augen kaum noch zu fassende Mengen von orangengroßen Glaskugeln voll seltsamen Inhalts.
    Die Villa war sehr geräumig, zweistöckig, mit steilen Stiegen, verwirrend vielen Zimmern und schmalen Gängen, die vom Boden bis zur Decke durch Bücherregale verdeckt waren. In einem Zimmer stand ein riesiger Vogel Strauß aus Holz, weiß bemalt, mit rotem Schnabel. Es gab eine Sammlung alter Uhren, eine Sammlung von Flaschenschiffen, eine Sammlung von unheimlichen, grotesken, in schreienden Farben gedruckten Plakaten aus Frankreich, Amerika, Japan und Indien – Plakaten für Ausstellungen, Theaterpremieren, berühmte Stummfilme, Nachtlokale, das ›Grand Guignol‹. Es war ein Museum, durch das der Maler Roman Barry Irene und Manuel führte, ein Museum, wie man es nur erträumen konnte.
    Roman Barry, ein großer, kräftiger Mann Mitte der Vierzig, hatte ein fröhliches, rotbackiges Gesicht und einen gestutzten Kinnbart, der so schwarz war wie sein kurzgeschorenes Haar. Er trug Cordsamthosen, Sandalen und ein graues, loses Flanellhemd. Seine Kleidung zeigte, wie seine Hände, vielerlei Farbspuren.
    »Bianca kommt sofort, sie telefoniert mit meinem Kunsthändler. Alles Geschäftliche erledigt sie.«
    Manuel war von diesem Haus, das sich, mächtig und hoch, am oberen Ende der steilen Alseggerstraße erhob, so entzückt, daß er sogar für kurze Zeit den Grund seines Besuches vergaß und nur all die Kostbarkeiten sah, mit denen die Villa zum Bersten vollgestopft war.
    Der Maler Roman Barry redete munter weiter: »Das Haus habe ich als verfallenen alten Kasten gekauft und

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